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Das Objekt des Monats

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Ein evangelischer Beichstuhl?

Zunächst wird dieses Objekt des Monats die meisten Besucher stutzig machen, da man ja gemeinhin die Einzelbeichte mit dem katholischen Sakrament der Beichte verbindet und einen Beichtstuhl nur im katholischen Kirchenraum erwartet. Dabei war die Einzelbeichte bis zur Einführung der allgemeinen Beichte im Jahr 1790 in jeder evangelischen Kirche üblich. Dementsprechend hat sich eine Vielzahl von Beichtstühlen erhalten. Heute oft unerkannt, werden sie bestenfalls vor Ort als historische Zeugnisse wertgeschätzt oder, wie in unserem Beispiel, zur Erhaltung ins Museum verbracht.

Luther hatte bis zu seinem Lebensende den Stadtpfarrer von Wittenberg, Johannes Bugenhagen, als seinen Beichtvater und eine positive Haltung zur Beichte: „Vor Gott soll man sich aller Sünden schuldig bekennen, auch die wir nicht erkennen, wie wir im Vaterunser tun. Aber vor dem Beichtiger sollen wir allein die Sünden bekennen, die wir wissen und fühlen im Herzen“, heißt es in Luthers Kleinem Katechismus. Beichte und Abendmahl stehen in Verbindung:  Wer nicht gebeichtet und keine Absolution erhalten hatte, wurde früher nicht zum Abendmahl zugelassen. Außerdem war das geistliche Wissen zu überprüfen: Die Hauptstücke des Katechismus wurden abgefragt. „Solche stück soll ein jeder christ fein auswendig von wort zu wort können und einen zimlichen Verstand davon habe oder soll zum sacrament nit zugelassen werden“, schreibt Veit Dietrich in seinem weit verbreiteten „Agendbüchlein für die Pfarrherren auf dem Land“ von 1543.

Bei unserem Exponat aus Königshofen an der Heide (Lkr. Ansbach) handelt es sich um eine auf den ersten Blick schlichte Kniebank mit breiter Tischauflage. Bei näherer Betrachtung kommt ein versenkbares gelochtes Gitter ins Spiel, was das Kleinmöbel in einen liturgischen Kontext verweist. Das Beichtkind kniete also vor seinem Beichtvater, der wiederum auf der anderen Seite wohl auf einem Stuhl, der nicht mehr erhalten ist, saß. Möglicherweise stand der Beichtstuhl in der Sakristei und konnte, bei herabgesenktem Gitter, als kleiner Tisch verwendet werden. Denkbar ist auch, dass er zur Vorbereitung auf den Gottesdienst vom Pfarrer selbst in der Sakristei vor einem Kruzifix zum Gebet genutzt wurde.

Pfarrer Wilhelm Löhe, der in Neuendettelsau die Diakonissenanstalt gründete, war ein ausgesprochener Verfechter der Einzelbeichte, die er auch praktizierte. Vielleicht hat Pfarrer Gotthilf Pächtner (1838-1909), den wir mit unserem Beichtstuhl in Verbindung bringen und der ein Zeitgenosse Löhes war, sich von diesem charismatischen Vorbild zu dem liturgischen Möbel inspirieren lassen.