Anneliese Friedlein
Anneliese Friedlein, die Enkelin des Allersheimers Bernhard Friedlein, wurde am 30.02.1922 (andere Quellen nennen den 30.03.1922) als Tochter von Ludwig (Louis) und Carri Friedlein (geborene Strauß) wahrscheinlich in Essen geboren. Dort lebte sie mit ihren Eltern sowie einem älteren und einem jüngeren Bruder.
Am 16.05.1937 feierte das junge Mädchen ihre Bat Mitzwa, eine Feier, die sie als volljähriges Mitglied der Jüdischen Gemeinde anerkannte. Aus diesem Anlass verfasste sie ein Gedicht, das in einer Kopie ihrer Freundin Lotte Hanauer erhalten ist und diesem Artikel beigefügt ist, das auf eindrucksvolle Weise durchzogen ist sowohl von Zeugnissen der Repression, Angst und der Auswanderung als auch von Motiven der jugendlichen Vorfreude und Hoffnung auf einen Neubeginn. Einzeln würdigte sie jedes der Mädchen, das mit ihr gemeinsam den Vorbereitungsunterricht absolviert hatte.
Deutlich wird hier noch jene Lebensfreude erkennbar, derer sich auch Wegbegleiter von Anneliese Friedlein erinnern. So berichtet die Schwester von Annelieses damaligem Freund Martin Hauser, wie verliebt beide ineinander gewesen seien. Waren die Eltern nicht da und Anneliese kam zu Besuch, so musste die Schwester anstandshalber in der Wohnung bleiben. Ein wenig Geld für Bonbons oder für die Kirmes verschafften dem jungen Paar dann aber doch häufig die ersehnte Freiheit. Als bildschön beschreibt sie Anneliese und noch heute besitzt sie ein Armband, das ihr Anneliese gab als sie von der auswandernden Familie ihres Freundes Abschied nahm.
Am 22.04.1942, nur rund fünf Jahre nachdem Anneliese Friedlein die Zeilen des Gedichtes verfasst hatte, wurde sie gemeinsam mit ihren Eltern von Essen aus nach Izbica deportiert, wo sich ihre Spur verliert. Gerade einmal zwanzigjährig wurde sie von den Nationalsozialisten ermordet. Und so ist ihr Gedicht heute zugleich Andenken an eine junge Frau, die das Leben noch vor sich gehabt hätte.
Anneliese Friedlein
Anneliese Friedlein, the grand-daughter of Bernhard Friedlein from Allersheim, was born on 30.02.1922 (other sources say 30.03.1922) as daughter of Ludwig (Louis) and Carri Friedlein (born Strauß), probably in Essen. There she lived with her parents and two brothers, of which one was older and one younger than her.
On 16.05.1937 the young girl celebrated her Bat Mitzwa, a ceremony declaring her a religiously adult member of the Jewish Community. For this purpose, she wrote a poem, that is attached to this article in a copy of her friend Lotte Hanauer. It shows impressively how elements of repression, fear and emigration are mixed with motives of adolescent anticipation and the hope for a new beginning. Individually she honors each of the girls that had gone to the preparatory classes with her.
It is easy to notice between the lines the joy of living that companions of Anneliese Friedlein remember. The sister of her then boyfriend Martin Hauser, for example, recalls how much the two were in love. When the parents were not at home and Anneliese came to visit, Martin’s sister had to stay home to have an eye on them. With a small amount of money for sweets or the fair, the young couple often was nonetheless capable of ‘buying’ itself some freedom. Martin’s sister describes Anneliese as picture-perfect and still today owns a bracelet that Anneliese gave her when Martin and his family emigrated.
On 22.04.1942, just about five years after the poem was written, Anneliese Friedlein was deported with her parents from Essen to Izbica, where her traces are lost. With only twenty years of age she was murdered by the Nazis. Today, her poem is at the same time a memorial for a young woman who would have still had her life in front of her.
Transkription des Gedichtes von Anneliese Friedlein
„Zur Erinnerung an meine Einsegnung Schowuaus 1937 16.Juni 1937 Lotte Hanauer Recht hat ein altes Sprichwort sehr: Aller Anfang, der ist schwer, Man muß aus X verschiedenen Gründen erst Schwierigkeiten überwinden; dann klappts, wenn alles schön in Schwung. So gings auch bei der Einsegnung – Der Vorbereitungsunterricht begann verspätet sicherlich. Wir wurden, um ans Ziel zu kommen, manchmal gründlich hochgenommen, doch da wir alle sehr begeistert, haben wir es doch gemeistert. Und wie wir hörten weit und breit, zur allgemeinen Zufriedenheit. Zu-erst die Prüfung mehr und mehr schien der Anfang wieder schwer. Seltsam begann Herr Dr. Hahn, er fing gleich mit „Olenu“ an. Trotzdem wie jeder das versteht „Olenu“ das Schlußgebet. Vielleicht fing er aus Gewohnheit dann als guter Jude von hinten an? Die Erklärung dafür, meine Lieben, ist er uns leider schuldig geblieben. In Zukunft brauchen wir mitnichten uns keinesfalls danach zu richten. Wir wollen doch in den schweren Zeiten am Neuaufbau gern mitarbeiten. Hierbei fangen wir besser – Mann für Mann – mit frohem Mut von vorne an und können nach arbeitsreichen Tagen, wie wirs gewohnt „Olenu“ sagen. An meine Einsegnung ich gerne denke, nicht etwa wegen der Geschenke. Nein darüber war ich ja ganz froh, warum auch nicht ich bin nicht so, nein die Einsegnung war uns doch mehr. Was kommt erscheint uns nicht so schwer, Eindrücke gab es noch und noch, glaubt mir alle! Schön war’s doch! Der Unterricht von besonderer Note, sieben Mädels kriegten zwar „Charote“ doch neunundzwanzig Toi, toi, toi blieben der guten Sache treu. Herr Dr. Hahn sie können lachen, sieben Besuche weniger machen, Treppe rauf und Treppe runter ist ganz angenehm mitunter. Zu-erst wart ne Kommission gewählt, von der man heute noch erzählt, sie bestand fast nur aus Selbstbewußten, die wichtiges entscheiden mußten. Ob bunte oder weiße Strümpfe, damit niemand seine Nase rümpfe, wie lang man die Ärmel an den Kleidern für die Mädchen solle schneidern, die Wirkungsfolge ward beschlossen, Tränen sind dabei geflossen. So war eine Menge von Problemen, zur Entscheidung vorzunehmen. Geklappt hat alles wie noch nie, bei der vorzüglichen Regie. Die Ausschmückung, der heiligen Stätte, man diesmal lieber anders hätte, Herr Dr. Hahn schlug nämlich vor, der allerschönste Blumenflor, ob roter, grüner, weißer, gelber seien heute seine Mädels selber, drum als geschmackvolle Ergänzung kam der Synagogenchor zur Bekränzung! So wurde nun mit Angst und Bangen der große Tag von uns empfangen, denn wie mal die Dinge liegen, ist steckenbleiben kein Vergnügen und mit einer riesen großen „More“ warteten wir auf der Empore, man war munter gegenwärtig noch nicht mit der „Haftara“ fertig. Man sah die eine nach der anderen noch einmal zu dem Spiegel wandern. Auf die Frisur ein letzter Blick, ob alles schneidig saß und schick. Viele haben ihre Strümpfe reviedirt oder Bibelverse memoriert einige hatten Zähneklappern vor Angst sich nachher zu verplappern. Plötzlich, schon nach kurzer Zeit merkten wir: es war so weit. Das Gotteshaus war übervoll, die Orgel klang in dur und moll, als 29 weiße Damen still durch die hohle Gasse kamen doch als wir eben angekommen und ordnungsmäßig platz genommen, als nach dem schönen Chorgesang eine vertraute Stimme zu uns klang, das war das Lampenfieber weg, und’s Herz saß auf dem richt’gen Fleck. Ganz leicht sprachen wir frisch und munter uns alles von der Seele runter, um unser Bekenntnis abzulegen und zu erflehen Gottes Segen, bei allen, die sich Sorgen machten, ging es besser, als sie dachten. Und nun meine lieben Partnerinnen, unser heutiges Fest wollen wir beginnen, denn, der Last und Müh nicht scheute, der uns jahrelang betreute bis heir auf unserer Lebensbahn, ich meine unseren Dr. Hahn, für all sein schuften und sein plagen ihm heute herzlich dank zu sagen. Seine größte Freude ist, daß weiß ich, wenn der Jahrgang 1937 glücklich nun durch’s Leben wandelt und nach seinen Worten handelt, was uns im Leben auch begegnet, ob die Sonne scheint, ob’s Regnet eies müßt ihr stehts bedenken, euren Lehrer nicht zu kränken; und wie sich die Dinge auch gestalten das Judentum hoch in Ehren halten. Dazu fehlt euch nicht der Mut. Marianne, Ursel, Gerda, Ruth, ich hoffe, ihr seit auch im Bilde Dorothee, Margit, Klara, Hilde auch Annelore, Karla, Inge beherrschen freudig diese Dinge, Johanna, Margot, Thea, Regine, auch ihr, ich sehs an eurer Miene ihr werdet wie Lotte und Ilse in Ehren, euch auch in Zukunft gut bewähren, und ihr, Lieselotte, Irmgard, Gisela wenn’s drauf ankommt seit ihr da. Anny ist auch stets bereit und Anneliese meine Wenigkeit. Was unsre Väter stets erprobt, was an heiliger Stätte wir gelobt, im Herzen haben wirs gespürt, daß wird von allen durchgeführt. Und wenn Gottessegen auf uns ruht, dann glaube mir, wird alles gut. Heute sitzen wir hier und lachen und scherzen und freuen uns so recht von Herzen, daß wir noch mal hierher bestellt, so lange noch keiner von uns fehlt, fürwahr es ist kein leerer Wahn unser lieber Dr. Hugo Hahn hat sich heute selber übertroffen und von euch allen will ich hoffen, daß ihr’s ebenso meint wie ich, ich erkläre hier für euch und mich, wir werden auch nach vielen Jahren ein gutes Gedenken ihm bewahren. Verfaßt von Annelies Friedlein. Marianne Strauß, Inge Sachs, Marianne Gompertz, Ursel Buchholz, Gerda Häusler, Ruth Salomon, Dorothee Hirschland, Margit Einhorn, Klara Drimmer, Hilde Mohr, Irmgard Bohn, Gisela Röttgen, Hilde Hellenthal, Annelor Stern, Karla Josef, Inge Oppenheim, Johanna Paßmann, Margot Kahn, Thea Katz, Regine Isaak, Lotte Hanauer, Ilse Löwenstein, Lieselotte Rothenstein, Anny Stryzewski, Anneliese Friedlein, Gerda Irsel, Gisela Kaatz, Klara Kleinmann, Klara Koppelmann. 29 Mädchen wurden konfirmiert am 16. Mai 1937 Schowuaus.“
Quellen
E-Mail-Auskunft Kreisarchiv Viersen
Schröter, Hermann: Geschichte und Schicksal der Essener Juden. Gedenkbuch für die jüdischen Mitbürger der Stadt Essen. Essen 1980.
E-Mail-Auskunft Alte Synagoge Essen
Bundesarchiv: Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945.