Die Farbe Rot im Kirchenraum
Welche Farben kommen Ihnen sofort in den Sinn, wenn Sie sich Ihre Lieblingskirche vor Augen malen?
„Farben wirken auf uns – bewusst oder unbewusst – und generieren Gefühle, Stimmung, Atmosphäre,“ – das erklärt mir Beate Baberske im Gespräch über die Farbe Rot. Mit Farbwirkungen in Kirchenräumen beschäftigt sich die Textildesignerin und Künstlerin Beate Baberske auch beruflich. Sie ist künstlerische Leiterin der Paramentik in Neuendettelsau und berät Gemeinden, wenn es um die stoffliche Ausgestaltung von Kirchen geht. Meist wird sie wegen der sogenanten Antipendien angefragt, die Altar und Kanzel und oft auch das Lesepult schmücken. Doch immer mehr wagen es Gemeinden auch, ihre Kirchen z.B. für besondere Gelegenheiten auch mal anderweitig mit Stoff zu schmücken.
Die Farben der Paramente sind klassich auf die liturgischen Farben des Kirchenjahres hin ausgerichtet. Sie sind „Schmuck der heiligen Orte“, wie Wilhelm Löhe es formuliert hat. *
Entsprechend oft werden sie gewechselt. Ganz oft im Einsatz ist das Parament in Grün, das farblich mit Hoffnung und Wachstum verbunden ist. Lila wird in den Wochen vor Ostern und Weihnachten aufgelegt und lädt ein zur inneren Einkehr und Vorbereitung auf diese Festtage, deren Farbe dann Weiß ist. Sie steht für Weite und tiefen Frieden, die Farbe Rot dagegen signalisiert Aufmerksamkeit, wirkt anregend. Die Farbe der Liebe ist auch die der besonderen kirchlichen Festtage wie Konfirmation und Pfingsten oder dem Reformationsfest.
Die Aufregung, die die Reformation in die Kirche brachte, ist angesichts der Farbe Rot auch noch heute gut nachzuempfinden. Der Pfingstgeist, der von den ersten christlichen Gemeinden ausging, wirbelte das bestehene hierarchische Gesellschaftssystem durcheinander, den Herrschenden drohte der Machtverlust. Das Rot erinnert daher auch an das Blut der Menschen, die sich leidenschaftlich durch gewaltfreien Widerstand dafür einsetzten, dass sich etwas ändert und dafür sogar ihr Leben gaben.
„Das Rot vermittelt durch seine Wellenlänge aber auch Wärme“, so Beate Baberske, deren pesönliche Lieblingsfarbe im Kirchenraum tatsächlich Rot ist, und ergänzt: „Farbe ist schneller als das Wort“. Noch bevor ein Gottesdienst beginnt, verkündet die Farbe im Raum schon eine Botschaft – im Fall von Rot ist das ein Gefühl von Nähe. Die Künsterlin spricht sogar von „Uteruserinnerung“.
Sofern er färbetechnisch möglich war, wurde daher bei Stoffen den kräftigen Farben der Vorzug gegeben. Als in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts die Färber von den chemisch hergestellten und immer giftiger werdenen Farben krank wurden, verbot man jedoch deren Einsatz – nicht nur in der Paramentik.
Nach dem zweiten Weltkrieg lässt sich daher – wie in der Kunst generell – eine zögerliche Wahl reiner Töne feststellen. Die sog. Indanthrenfarben waren dazu noch idealer Mottenschutz. In den 1950er und 1960er Jahren finden sich dann viele handgearbeitete Paramente aus pflanzengefärbten, handgesponnenen Leinen und Wollgarnen, die weniger brillante Farben hatten. Unter anderem durch die Weiterentwicklung der Färbemethoden kommt in den 1990er Jahren dann wieder mehr Farbe durch synthetische Fasern ins Spiel.
„Ein Parament“, so Beate Baberske, „ist jedoch nicht einfach ein farbenfrohes Stück Stoff, sondern sollte ein Kunstwerk sein und als solches in Dialog treten: Mit dem oder der Betrachterin, der Gemeinde, dem Ort, der Zeit“. Sie sieht einen Verkündigungsauftrag damit verbunden, der bestenfalls ein „Aha-Erlebnis“ mit sich bringt. In der evangelischen Tradition beobachtet sie noch immer den Trend, intuitives Herangehen und Gefühle zu negieren. Daher schafft sie mit ihren raumgreifenden Installationen temporäre Räume mit fließenden Stoffen innerhalb des Kirchenraum, die Grenzen verschwinden lassen und die Menschen nicht nur in eine neue Art des Sehens, sondern auch in die Bewegung bringen.
Nach dem Gespräch mit Beate Baberske ist mir klar geworden: Rot regt an - und auf. Genau diese Dynamik bewegt Kirche und fordert sie kontinuierlich heraus, wenn sie sich gleichzeitig auf Weihnachten und Ostern beziehen und Kirche in und für diese Welt sein will. Zu meiner persönlichen Lieblingsfarbe im Kirchenraum erkläre ich daher das Rosa. In den Installationen von Beate Babeske erscheint es oft durch Überlagerung von transparentem Weiß und Rot. Als dezitierte Farbe im liturischen Kirchenjahr kommt es nur an zwei Sonntagen explizit zum Vorschein: am Sonntag Lätare in der Mitte der Fastenzeit vor Ostern – auch „Rosensonntag“ oder „kleines Ostern“ genannt - und an Gaudete, dem 3. Sonntag im Advent. Das gottesdienstliche Thema ist jeweils die Freude. Das Rosa vermittelt intuitiv, wie zart und zerbrechlich diese ist.
* Wilhelm Löhe, „Vom Schmuck der heiligen Orte (1857/58)“, herausgegeben von Hermann Schoenauer, kommentiert und bearbeitet von Beate Baberske-Krohs und Klaus Raschzok, Leipzig 2008