Eine Predigt aus Lindenholz
Eines der bedeutendsten Kunstwerke im Museum Kirche in Franken kann in diesem Jahr sein 400jähriges Bestehen feiern: die von dem Windsheimer Bildschnitzer Georg Brenck d. J. geschaffene Kanzel der Spitalkirche. Wir kennen sogar das genaue Datum: Am 26.Juni 2022 wurde sie feierlich ihrer Bestimmung übergeben.
Den archivalischen Nachweis finden wir bei dem Windsheimer Chronisten Manasse Flentsch. Er verrät uns nicht nur, dass unter diesem Datum der „Predigtstuhl in der Spitalkirchen auffgericht“ worden sei, sondern nennt auch den Schöpfer der Kanzel, „Geörg Brenck“, und den bei der Einweihung – mit musikalischer Umrahmung – amtierenden Pfarrer der Spitalkirche, Magister Johann Müller. (Flentsch 1650, Manasse Flentsch: Chronica Windshemiana.) Eine Tafel an der Rückseite des Kanzelkorbs bestätigt diesen Namen und fügt – in etwas holprig gereimten Versen, aber voll andächtigen Sinns – weitere Informationen über Auftraggeber und Künstler hinzu:
„Die Cantzel New Gebawet ist/Zu Lob dem Herren Jesu Christ/darauf das Göttlich Wort zu Lehrn/zu beten und viel zu bekehrn/Ein Windtsheimisch Bezaleet/Künstlich gemacht hat die Cantzel/Georg Brenck mit Namen Gott zu ehrn/Auf anordnung der Spittal Herrn /Herrn Melchior Brodtsorgs und Ioachim/Andree: Gott gabs ihnen in Sinn/Tausent sechshundert zwanzig zwey/ man zählt an der Spital Kirchwey/Johann Müller sie weyhen thet/durch Gottes Wort und durchs gebet/GOTT GEB das sie stehts bleibe REIN/Nichts hör denn GOTTES WORT ALLEJN.“
Das war nun eher geistlich-gelehrte Sprache. Schon das Wort „Bezaleel“ (versehentlich hier mit -t geschrieben) hätte ein Laie kaum verstanden. Es ist der Name des kunstfertigen Schöpfers der Bundeslade im Alten Testament (2. Mose 37, 1) und anderer Geräte des Heiligtums. Aber diese Inschrift konnte ohnehin nur der Prediger auf der Kanzel lesen.
Wie sprach die Kanzel aber zum Kirchenvolk? Hier kommen wir zum Aufbau und zum ikonographischen Programm unseres Predigtstuhls, die in vielfältiger Weise auf seine Funktion im Gottesdienst Bezug nehmen. Die Kanzel, ist am rechten Chorbogen angebracht und kann vom Kirchenschiff aus durch eine Treppe erreicht werden. Der Prediger spricht von einem sechseckigen Kanzelkorb aus, der sich auf eine Balustersäule stützt, eine seitliche Rückwand verbindet ihn mit einem als Kuppel ausgebildeten Schalldeckel. Alle Schauflächen sind reich verziert, neben skulpturalem Schmuck finden sich viele vegetabile Ornamente, vor allem Blüten, Früchte, oft als Festons ausgebildet, geometrische Zierelemente wie Pilaster, Kugeln, Spindeln, Baldachine und Nischen, dazu viele Inschriften und einige Wappen. Alle Texte und Bilder auf einmal zu erfassen, ist zwar für das Auge des Betrachters und Zuhörers, der im Kirchengestühl sitzt, unmöglich. Doch hat das Figurenprogramm keineswegs nur schmückende Funktion.
Die Frage nach der Zulässigkeit und geistlichen Bedeutung von Bildern in der Kirche führte bei den Reformatoren zu heftigen Auseinandersetzungen bis hin zum Bildersturm. Bei Luther ist sie von eher untergeordneter Bedeutung. Er zählte Bilder zu den Adiaphora, also den Zwischendingen, die man so oder so handhaben könne. Bei ihm steht das Wort Gottes, das in der Predigt verkündet wird, an erster Stelle, dem sich alles andere unterzuordnen habe. Aber genau darauf verweist das Figurenprogramm der Kanzel, indem sie die vier Evangelisten zum beherrschenden Schmuck der Kanzel macht. So stehen sie, jeweils mit ihren Attributen nach der kanonischen Reihenfolge des Neuen Testaments, in den Ädikula-Nischen des Kanzelkorbes: Matthäus mit dem Engel, Markus mit dem Löwen, Lukas mit dem Stier und Johannes mit dem Adler. Kurioserweise wurde an der Windsheimer Kanzel irgendwann die Reihenfolge der Figuren vertauscht: Sie stehen heute von links nach rechts: Matthäus, Lukas, Johannes und Markus nebeneinander.
Warum den Autoren der vier Evangelien gerade diese Symbole zugeordnet werden, erklärt sich aus visionären Texten des Alten und Neuen Testaments, vornehmlich aus dem Buch des Propheten Ezechiel: „Ich sah: Ein Sturmwind kam von Norden, eine große Wolke mit flackerndem Feuer, umgeben von einem hellen Schein. Aus dem Feuer strahlte es wie glänzendes Gold. Mitten darin erschien etwas wie vier Lebewesen. Und das war ihre Gestalt: Sie sahen aus wie Menschen. Jedes der Lebewesen hatte vier Gesichter und vier Flügel. [Auch Gesichter und Flügel hatten die vier.] … Und ihre Gesichter sahen so aus: Ein Menschengesicht (blickte bei allen vier nach vorn), ein Löwengesicht bei allen vier nach rechts, ein Stiergesicht bei allen vier nach links und ein Adlergesicht bei allen vier (nach hinten).“ – (Ez 1,4–10).
Zentrale Bedeutung im theologischen Bildprogramm hat auch die Bekrönung des Schalldeckels: Christus als Salvator Mundi. Rechts hält er die Siegesfahne, in seiner Linken trägt er die Weltkugel. Solche Darstellungen sind nicht der Phantasie der Auftraggeber oder des Schnitzers entsprungen, sondern folgen meist graphischen Stichvorlagen,die von den Werkstätten mehrfach verwendet wurden. So konnte Christine Schweikert nachweisen, dass der Schalldeckelchristus auf dieselbe Vorlage zurückgeht wie der Christus als Kanzelträger der Sommerhausener Kanzel, die ebenfalls der Brenck-Werkstatt entstammt.
Ergänzt wird die Aussage der Bilder durch Bibelworte, die Sockel und Fries des Kanzelkorbes umgeben: „So Euch Jemand Evangelium Pre-/diget Anders, Denn Das Ihr/Empfangen habt, Der Sey/verflucht“ (Gal.1,9) und „Wer Euch höret, der höret, mich/Wer Euch verachtet, Der verachtet mich/Wer aber mich verachtet, der verachtet den/Der mich Gesandt hat“ (Luk. 10,16).
Unsere Kanzel ist nicht nur ein beeindruckendes Zeugnis protestantisch geprägter kirchlicher Kunst, sondern verweist auch auf die handwerklich-künstlerische Produktionskraft der kleinen Reichsstadt Windsheim im 16./17. Jahrhundert. Georg Brenck der Ältere hatte 1584 dort seine Schreinerlehre beendet, spätestens ab 1592 ist er in der Stadt als Selbständiger tätig und übernimmt in den nächsten Jahrzehnten als Schreiner und Bildschnitzer zahlreiche kirchliche Aufträge im weiten Umkreis. Georg Brenck der Jüngere, geb. 1539, trat in die Werkstatt seines Vaters ein und schuf, unterstützt von seinem jüngeren Bruder Johann, unsere Kanzel. Etwa zur gleichen Zeit kamen auf die Reichsstadt im Zuge des Dreißigjährigen Kriegs schwere Zeiten zu. Die Reste des geschlagenen protestantischen Heeres zogen vorüber, bald gefolgt von den Truppen der katholischen Partei. Ob in der Schärfe des Zitats aus dem Galaterbrief auf unserer Kanzel etwas von der bedrohlichen Lage für die Evangelischen anklingt?
Georg Brenck der Ältere sowohl wie der Jüngere erlebten das Ende des Krieges nicht. Johann Brenck verlegte seine Werkstatt nach Kulmbach. Aber von unserer Kanzel wurde bis ins 20. Jahrhundert gut lutherisch gepredigt. Seitdem ist das Kunstwerk zum Museumsstück geworden. Zum bisher letzten Mal wurde von dort durch den damaligen Landesbischof Dr. Johannes Friedrich gepredigt, zur Einweihung des Museums Kirche in Franken am 16.7.2006. Die Kanzel selbst spricht zu unseren Besuchern und Besucherinnen aber auch heute noch: von der Bedeutung der Predigt im Protestantismus und vom Reichtum künstlerischen Schaffens in Franken.
Literatur:
Bedal, Konrad: Dorfkirchen in Franken. Kontinuität und Wandel in Bauformen und Ausstattung, 1000-1800, Bad Windsheim 2015.
Die Bibel: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, kbw Bibelwerk, 2020.
Flentsch, Manasse: Chronica Windshemiana, 1650 StadtA Windsheim.
Münkler, Herfried: Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, Deutsches Trauma 1618-1648, Berlin 2017.
Schweikert, Christine: Brenck. Leben und Werk einer fränkischen Bildschnitzerfamilie im 17. Jahrhundert, Bad Windsheim 2002.
Sörries, Reiner: Die liturgischen Orte im Wandel der Zeit. Taufe – Beichte – Abendmahl – Predigt, Wiesbaden 2021.
https://mgoesswein.de/krieg_30.htmln, aufgerufen am 31.05.2022