Zum Hauptinhalt springen

Es war einmal...

Märchen und christliche Religion?

Frau Holle

Der süße Brei

Aschenputtel

Vom 19. – 25 August stehen die Märchen im Fränkischen Freilandmuseum im Mittelpunkt. Ein guter Grund, sich die Märchen mal unter einem ganz besonderen Gesichtspunkt anzuschauen.

Märchen wurden und werden bei allen Völkern der Erde erzählt. Zunächst in mündlicher, bei uns spätestens seit den Brüdern Grimm in schriftlicher Form überliefert. Wir vom Museum Kirche in Franken fragten uns, wieviel christliche Vorstellungen und religiöse Motivik steckt in den Grimm’schen Märchen?

Ein Thema in das man ganz tief einsteigen kann, das wir hier aber nur ganz oberflächlich behandeln können und wollen.

Es gibt in den Kinder- und Hausmärchen (KHM) der Grimms[1] christliche Personen wie Gott selbst, Engel und Heilige. Christliche Vorstellungen und Motive finden sich ebenso. Wir sprechen aber von 200 Märchen und 10 Kinderlegenden in den KHM, weswegen wir uns auf die bekanntesten 20 Stück beschränken wollen.

Hier eine Liste mit den zugehörigen Nummern der KHM:

KHM 1 Froschkönig oder der eiserne Heinrich, KHM 5 Der Wolf und die sieben jungen Geislein, KHM 12 Rapunzel, KHM 15 Hänsel und Grethel, KHM 19 Von dem Fischer un syner Fru, KHM 20 Das tapfere Schneiderlein, KHM 21 Aschenputtel, KHM 24 Frau Holle, KHM 26 Rothkäppchen, KHM 27 Die Bremer Stadtmusikanten, KHM 33a Der gestiefelte Kater, KHM 36 Tischchen deck dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack, KHM 50 Dornröschen, KHM 53 Sneewittchen, KHM 55 Rumpelstilzchen, KHM 83 Hans im Glück, KHM 103 Der süße Brei, KHM 153 Die Sternthaler, KHM 161 Schneeweißchen und Rosenroth, KHM 187 Der Hase und der Igel  

Gott selbst als handelnde oder bestrafende Person taucht in keinem der bekannten Märchen auf. Häufig als bloße Floskel in Ausrufen, in denen Entsetzen, Wünsche, Dank oder Bedauern ausgedrückt wird. Die alte Geiß ruft hoffnungsvoll aus: „Ach Gott, […] sollten meine armen Kinder, die er zum Abendbrot hinunter gewürgt hat, noch am Leben sein?“ oder das Rotkäppchen, das sagt: „Ei, du mein Gott, wie ängstlich wird mir’s heut zumut, und bin sonst so gern bei der Großmutter!“ Gott wird um Segen oder Beistand gebeten. Hänsel und Gretel haben großes Gottvertrauen, dass sie mit Gottes Hilfe wieder nach Hause finden. Und Rapunzel wird als „gottloses Kind“ von der Zauberin bezeichnet, weil sie sich trotz Abgeschiedenheit mit dem Königssohn angefreundet hat. Die Anrufung Gottes wird oft verwendet, ohne eigentliche Hilfe zu erwarten, ohne dass sie wörtlich genommen werden kann und Gott greift auch nicht ein, sondern die Protagonisten schaffen es selbst aus der Misere. Gott wird sogar von den sog. Jenseitigen[2] wie Hexen, Zauberern, Nixen, Männlein oder Riesen „in den Mund genommen“.

Die einzige Erscheinung eines engelsähnlichen Wesens e kommt in Schneeweißchen und Rosenrot vor. Im Text heißt es: „Einmal, als sie [die Kinder] im Walde übernachtet hatten und das Morgenrot sie aufweckte, da sahen sie ein schönes Kind in einem weißen, glänzenden Kleidchen neben ihrem Lager sitzen. Es stand auf und blickte sie ganz freundlich an, sprach aber nichts und ging in den Wald hinein. Und als sie sich umsahen, so hatten sie ganz nahe bei einem Abgrunde geschlafen und wären gewiß hineingefallen, wenn sie in der Dunkelheit noch ein paar Schritte weitergegangen wären. Die Mutter aber sagte ihnen, das müßte der Engel gewesen sein, der gute Kinder bewache.“ Sie hatten also einen Schutzengel.

In den bekannten 20 KHM werden keine Heiligen angerufen, noch kommen sie persönlich vor. In den anderen tummeln sich Petrus, Maria, Josef, Anna und Georg. Johannes der Täufer, Adam und Eva und Benjamin finden je einmal Erwähnung.

Der eigentliche Held in den Märchen ist der Mensch, das göttliche Element stellt im Grunde keine notwendige Instanz im Märchen dar. Gott als Figur wird austauschbar; als allmächtige und allgegenwärtige Macht wirkt er jedoch im Verborgenen. Sein Eingreifen erfolgt auf Umwegen. Er bedient sich unterschiedlicher Aktionen und Figuren, die einen glücklichen Ausgang im Märchen herbeiführen. Das Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit im Märchen kann somit als Chiffre für den nicht genannten Gott gesehen werden.

Christliche Vorstellungen transportieren Begriffe wie Bußakt, Beichte und Lossprechung zur Vergebung der Sünden, Bekehrung, Erlösung, die Reinigung im Fegefeuer, das Gebet, das Wirken von Wundern, Ewigkeit und der Jüngste Tag. Sie enthalten christliche Tugenden, wie Barmherzigkeit, Bescheidenheit und Demut, Frömmigkeit und Gerechtigkeit. Diese Eigenschaften zeichnen einen Menschen im Sinne der christlichen Lehre aus.

In den bekannten KHM wird weder gebeichtet noch gebetet, es begibt sich niemand auf eine Wallfahrt oder geht in den Gottesdienst und lauscht der Predigt. Christliche Rituale spielen bei dieser Auswahl keine Rolle. Auch Himmel, Hölle und Fegefeuer kommen nicht vor.

Doch Todsünden werden begangen. Bei der bösen Königin in Schneewittchen, der Frau des Fischers und beim Hasen kommt Hochmut vor dem Fall. Der habgierige König heiratet die goldspinnende Müllerstochter bei Rumpelstilzchen nur wegen des Goldes. Die Prinzessin wirft zornig den ekligen Frosch gegen die Wand und Rumpelstilzchen reißt sich im Zorn über den richtig genannten Namen gleich in der Mitte entzwei. Die Böse Königin ist neidisch auf die Schönheit von Schneewittchen und die Stiefschwestern samt der Stiefmutter sind eifersüchtig auf das Aschenputtel. Die Pechmarie in Frau Holle ist ein Paradebeispiel für Faulheit und Trägheit. Alle bekommen ihre gerechte Strafe dafür.  

Durch Nächstenliebe, Mitgefühl, Frömmigkeit, Demut und selbstloses Handeln zeichnen sich im Märchen auch gewöhnliche, also nicht-überirdische oder jenseitige Märchenfiguren aus. Das Mädchen aus Sterntaler, das selbst nichts mehr hat, ist mitleidig, fromm und gütig. Es teilt sein letztes Brot mit einem armen Mann und gibt buchstäblich sein letztes Hemd. Dafür fallen zur Belohnung die Sterntaler vom Himmel. Aschenputtel ist fromm und fleißig, auch wenn sie bei ihren Aufgaben Hilfe bekommt. Die Gewinner im Märchen zeichnen sich durch die christlichen Tugenden aus, sie sind gutherzig, mitleidig und barmherzig und bekommen dafür am Schluss eine Belohnung.

Durch die ausgleichende Gerechtigkeit und die Hervorhebung christlicher Tugenden kann man schon davon sprechen, dass die genannten Märchen christliche Vorstellungen transportieren. Wie sieht es mit christlichen Motiven aus?

Es gibt wohl ein paar Wunderheilungen, wie z. B. der Königssohn bei Rapunzel, der von der Zauberin mit Blindheit geschlagen von Rapunzels Tränen wieder geheilt wird. Aber weder ein Segen wird in den bekannten Märchen der KHM gesprochen (stattdessen eher Zauber und Verwünschungen) noch gibt es wie bei den restlichen nicht so bekannten Märchen Gottesurteile oder das Josephsmotiv.  

Zusammenfassend kann man zu den bekanntesten 20 Märchen der Brüder Grimm folgendes feststellen. Gottes Allmacht ist durch die vertrauensvolle Sicht der Märchenwelt spürbar, es gibt eine ausgleichende Gerechtigkeit, die jemand im Verborgenen steuert. Aus- und Anrufe sind eher aus Gewohnheit mit Gott verbunden. Christliche Werte und Vorstellungen werden aber durchaus transportiert. Das Milieu der Märchen ist zwar christlich geprägt, sie vertreten ein christliches Weltbild, sie bilden aber keine Glaubenswahrheiten ab.

Sie sollen belehren und nicht bekehren.

 


[1] Eine Liste der Kinder- und Hausmärchen findet sich unter Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (khm.li)

[2] Nebencharaktere in Märchen, die als Helfer oder Schädiger fungieren und aus einer anderen Welt kommen, z. B. Bettler, alte Männer und Frauen, Gestirne, Einsiedler, Teufel, Trolle, Hexen, Riesen, weise Frauen, Zauberinnen, Nixen, Drachen, Zwerge, Männlein und Wichtel.