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Haferflockenküchle - Reformkost aus der hygienischen Küche

Die Ideen der Hygiene veränderten das Leben auf dem Lande seit dem Ende des 19. Jahrhundert grundlegend. Die aktuelle Sonderausstellung (noch bis Dezember 2020) „Sauberkeit zu jeder Zeit!“ im Fränkischen Freilandmuseum des Bezirks Mittelfranken zeigt, wie fast alle Lebensbereiche – vom Stall, Hausbau, Geburtshilfe, Waschen, Schlafen, Kochen bis zur persönlichen Hygiene – nach den neuen Regeln umgestaltet wurden. Dazu passend stellen wir „Haferflockenküchle“ als ein Rezept der Reformkost aus der hygienischen Küche vor.

Mit dem Bild dieses Küchenschrankes warben die Beraterinnen der Landwirtschaftsschule Röhn-Grabfeld für eine rationell und hygienisch organisierte Küche. Fotoarchiv Fränkisches Freilandmuseum Fladungen

Die „Reformküche“ der Firma Eschebach war Vorbild für hygienisch Küchenausstattung und Vorläufer moderner modularer Küchen. Tafel X im Ratgeber „Der neue Haushalt. Ein Wegweiser

Haferflockenküchle, Foto Margarete Meggle-Freund

Reform-Küchen

Eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der Hygiene kam den Frauen zu. Besonders den Haushalt sollten sie hygienisch führen. Die landwirtschaftlichen Haushaltungsschulen vermittelten Regeln und Fähigkeiten für eine hygienische ländliche Hauswirtschaft und berieten die Bäuerinnen auf den Höfen. Das in der Ausstellung gezeigte Foto eines mustergültig hygienischen Küchenschranks aus den Fünfzigerjahren diente dabei in der Landwirtschaftsschule in Bischofsheim an der Röhn als Anschauungsmittel. Das offensichtliche Vorbild für den Schulschrank war die sogenannte „Reformküche“, welche die Firma Eschebach 1927 auf der Leipziger Messe vorgestellt hatte. In ihrem weit verbreiteten Ratgeber „Der neue Haushalt“ stellte Erna Meyer den Reformküchenschrank als Vorbild gelungener rationeller Küchenorganisation dar. Ihr Ratgeber sollte ein Wegweiser zu „wirtschaftlicher Haushalts- und Lebensführung“ sein. Der Anspruch war nicht nur, den Haushalt vernunftmäßig zu organisieren, sondern das ganz Leben nach Vernunft- und Hygieneregeln zu gestalten. In der Küche geht es ihr etwa um kurze Wege. Im Reformküchenschrank ist nach dem Vorbild von Apothekeneinrichtungen alles kompakt, übersichtlich, gut sichtbar verstaut und mit dicht schließenden Schranktüren vor dem Verstauben geschützt. In Glasschütten sind offene Lebensmittel wie Mehl, Salz und Zucker griffbereit untergebracht. Im Schulschrank findet auch das Putzgerät seinen Platz – ordentlich verstaut im Schrank. Leisten an den Türen für Kochlöffel und Topfdeckel nutzen den Raum optimal aus. Ausziehbare Bretter über den mittleren Schubladen schaffen zusätzliche Abstellflächen. Typisch ist auch der weiße Schleiflack, der eine abwischbare Oberfläche ergab und schon von der Farbe her für Hygiene stand. Hochaktuell mutet uns der modulare Aufbau der Eschebach Küche an: Die Einzelteile haben jeweils eigene Füße und konnten so auch getrennt aufgestellt werden und so in verschiedenen Raumsituationen eingesetzt werden. Um sich die aufsehenerregende Modernität dieser Küchenschränke klar zu machen, denke man an die dunklen Küchen der meisten Museumshäuser, die bestenfalls über kleine offene Stellagen für die Küchengeräte verfügen.

Das neue hygienische Kochgeschirr aus Glas

Offenbar hatte meine Großmutter 1939 ihren Küchenschrank nach den Anregungen von Erna Meyer geplant. Der Ratgeber fand sich in ihrem Nachlass ebenso wie die für das Foto der Haferflockenküchle verwendeten Glasgefäße. Glas gilt bis heute als besonders hygienischer Werkstoff, der mit seiner porenfreien Oberfläche keinen Geschmack annimmt und besonders beständig gegen Wasser und Chemikalien ist. 1887 entwickelte der Chemiker und Glastechniker Otto Schott erstmals hitzebeständiges Borsilikatglas, das im Labor verwendet wurde. Seit den 1920er-Jahren wurde dann feuerfestes Gebrauchsglas unter dem Markennamen „Jenaer-Glas“ produziert und für den privaten Haushalt vertrieben. Das Material Pressglas ermöglicht im Vergleich zu geblasenem Glas eine kostengünstige industrielle Produktion der Entwürfe. Das entsprach der Idee des Bauhauses, gutes Design für breite Bevölkerungsschichten verfügbar zu machen. Bedeutende Gestalter aus der Schule des Bauhauses wirkten an der Formgebung dieser Glasprodukte mit.

So entwarf 1939 Wilhelm Wagenfeld die eckigen Vorratsgefäße aus Pressglas. Sie waren Teil der „Kubus“-Serie, die in der Gesamtgröße genau den Fächern der ersten Kühlschränke, die seit den 1930ern für Privathaushalte aufkamen, entsprach. In ihrer eckigen Form, mit den Deckeln und vor allem wegen ihrer Stapelbarkeit nutzten sie den Raum optimal aus. Das war der Grund, warum sie bei der Haushaltsauflösung nicht aussortiert wurden. Der hier als ofenfeste Servierschale genutzte multifunktionale Deckel einer Auflaufform könnte aus der „JENA 2000“-Reihe von Backformen stammen, mit der Heinrich Löffelhardt in den 1960er Jahren die Entwürfe von Wilhelm Wagenfeld weiterentwickelt hat. Typisch ist die organische Form der Einheit von runder Deckelform und Griffen, die industriegerecht in einem Guss hergestellt werden konnten. Die feuerfesten und durchsichtigen Auflaufformen waren für Privathaushalte die beliebteste Anwendung des hygienischen Jena-Glases. So dass der umgangssprachliche Begriff „Jenglas“ gleichbedeutend mit „Kochgeschirr aus Glas“ verwendet wurde, auch wenn es von anderen Anbietern bald billiger produziert wurde. Trotz aller Stabilität des Materials gingen die Auflaufformen bei häufiger Benutzung auch hin und wieder zu Bruch – weshalb wohl auch im Haushalt meiner Großmutter von den Fünfzigerjahre-Entwürfen nur die kleinen Schüsseln übrig blieben und der verwendete Deckel im Familienmaß wohl in den Sechzigerjahren ersetzt wurde. Die Leinentischdecke aus den frühen Sechzigerjahren mit dem folklorisierenden rot-blauen Muster lockert die labormäßige Strenge der „guten Form“ des Industriedesigns in Glas etwas auf. Die Tischdecke stammt aus dem Haushalt einer Landwirtschaftsrätin, die in dieser Zeit junge Bäuerinnen unterrichtete.

Haferflockenküchle

„Haferflockenküchle“, ein reformerisch angehauchtes Rezept, habe ich ebenso wie die Geschirre von meiner Großmutter übernommen, aber inzwischen mit einem höheren Gemüseanteil variiert. Es ist einfache, preiswerte und nahrhafte Alltagsküche, mit dem Anspruch gesund zu sein. Haferflocken sind schon seit dem 19. Jahrhundert ein verbreitetes Nährmittel. Spätesten seit dem Birchermüsli auf Haferflockenbasis, das seit den 1920er Jahren propagiert wurde, gelten sie als gesundes Lebensmittel. Bratlinge aus Haferflocken finden sich z. B. auch in einem Kochbuch der Nürnberger Frauen- und Kochschule von 1899. Dort ist es ein Sparrezept, in dem Fleischreste verwendet werden. Dank der nahrhaften Haferflocken war mit diesem Gericht leicht eine Familie satt zu bekommen. Auch in der modernisierten Variante mit hohem Gemüseanteil kann das Rezept der Resteverwertung dienen. Schon etwas „angeschrumpeltes“ Wurzelgemüse, kann man – vorher in Wasser eingeweicht und fein gerieben – hierfür noch gut verarbeiten.

Grundrezept pro Person benötigt man:

4 Esslöffel zarte Haferflocken, 1 Esslöffel Mehl, 1 Ei, 1 Teelöffel Gemüsebrühe, knapp 1/8 Liter Milch oder Reismilch, Gewürze, Fett zum Ausbacken

Varianten:

vom Gemüse fast die gleiche Menge wie die Haferflocken,

fein geriebene Karotten mit ¼ Teelöffel gemahlener Rosmarin (Brecht Gewürze im Reformhaus) und 1 Prise Knoblauchpulver oder

feingeriebene Rote Beete mit 1 Prise Piment oder

feingeriebener Sellerie oder Petersilienwurzel oder

grob geraspelte Zucchini mit Pfeffer und ev. Dill,

½ klein geschnittene Zwiebel (roh oder angedünstet),

gewürfelter Schinken, gepökelt und gekochte Rippchen, Fleisch- oder Wurstreste.

Die vegetarische Variante Grundrezept mit Karotten ist besonders gut.

Alle Zutaten werden gemischt und 10 Minuten oder auch einige Stunden vor dem Ausbacken stehen gelassen, damit die Haferflocken quellen können und sich die Masse gut verbindet. Der Teig soll fester als Pfannkuchenteig und flüssiger als Frikadellenteig sein, so dass er in der Pfanne etwas verläuft.

1 Esslöffel Fett in einer beschichteten Pfanne heiß werden lassen. Mit einem Tropfen Teig testen, ob das Fett schon heiß genug ist. Dieser soll sofort fest werden, aber nicht schwarz. Wenn nicht genug Fett verwendet wird oder das Fett nicht heiß genug ist, oder zu heiß ist, besteht die Gefahr, dass die Bratlinge anbrennen. Bei diesem Rezept Fett zu sparen, macht wenig Sinn, weil erst das Braten im heißen Fett das Röstaroma als spezifischen Geschmack ergibt. Das Braten lässt sich auch nicht beschleunigen. Deshalb bei einer größeren Menge lieber mit mehreren Pfannen gleichzeitig arbeiten.

Gehäufte Esslöffel Teig in die heiße Pfanne setzen. Auf beiden Seiten braten. Im vorgewärmten Backrohr warmhalten. Mit Salat und Senf, Chutney oder Grüner Kräutersoße servieren.

Auch kalt als Picknick schmecken diese Bratlinge sehr gut. Dann sollte ihre Konsistenz eher fester sein, damit man sie gut als Fingerfood in die Hand nehmen kann. Mit einer Scheibe Tomate und Mozzarella oder anderem Käse überbacken schmecken sie auch am nächsten Tag noch gut.

Dr. Margarete Meggle-Freund M. A.

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