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Herrenrunde – Eine Geschichte ohne weibliche Hauptdarsteller*innen?

Unser vierter Beitrag der #freilandfürzuhause Themenwoche "Frankens Frauen", anlässlich der Blogparade #femaleheritage der Monacensia im Hildebrandhaus in München, ist Blogbeitrag Nummer 3 – diesmal aus dem Blickwinkel unseres Forschungsprojektes zur Synagoge und Gemeinde Allersheim. Frauen in der Geschichte, mehr als eine Randnotiz?

Schülerliste der Nürnberger Handels- und Vorbereitungsschule aus den 1870er-Jahren. Die (ausschließlich männlichen) Schüler sind hier sogar in Druckform aufgelistet. Foto: Bayerische Staatsbibliothek

Hingegen ein Sinnbild für die Quellenlage bzgl. Frauen: Auszug eines Brieffragmentes von Jette Rothstein an ihre Schwägerin. Foto: Privatbesitz Gail Koevary

Historisches Foto von Anneliese Friedlein, ihrem Freund Martin Hauser (Mitte) und zwei Bekannten. Foto: Alte Synagoge Essen, Archiv

Auszug aus Anneliese Friedleins Gedicht. Foto: Alte Synagoge Essen, Archiv

Wer regelmäßig historische Veröffentlichungen verfolgt, der kann sich irgendwann des Eindrucks nicht erwehren, dass Geschichte in der Hauptsache Männersache ist. Gerade wenn man in die Zeit vor dem 20. Jahrhundert blickt, und dann vielleicht sogar noch ins Lokale, abseits der großen Historie, kann man zwar viel über Männer lernen, aber nur vergleichsweise wenig über die Frauen der Zeit. Wie kommt es dazu?

Die Grundursache liegt in vielen Fällen an der Quellenlage. Amtliche Quellen beziehen sich oft auf berufliche Sachverhalte und Streitfälle. In ihnen werden daher lange Zeit vor allem Männer erwähnt. Dies muss zwar keineswegs bedeuten, dass Frauen nicht genauso beruflich tätig waren (in der Realität waren die meisten Betriebe „Familienbetriebe“, sicherten sie doch immerhin auch das familiäre Auskommen), als offizielle Repräsentanten werden jedoch in der Regel die Männer benannt, selbst dann wenn ihre Frauen im Betrieb bedeutende Funktionen wie die einer Prokuristin übernahmen oder vielleicht sogar das Geld zur Betriebsgründung hauptsächlich von ihnen stammte.  In amtlichen Quellen kommen Frauen zwar immer wieder vor, jedoch deutlich seltener als Männer. Häufiger werden die Nennungen in der Regel nur, wenn es sich um Witwen handelt, die den Betrieb des verstorbenen Mannes weiterführten oder um anderweitig selbstständige Frauen. Oft genug jedoch erfährt man von Frauen nur im Kontext familiärer Ereignisse wie Hochzeiten, Geburten und Sterbefällen. Das kann zwar als Rahmen dienen, beschreibt aber wohl kaum Charakter und Wesen einer Person, geschweige denn ihren Lebensweg. Wenn wir mehr über Frauen erfahren wollen, müssen wir daher andere Quellen bemühen. Doch welche können das sein? Einige Beispiele aus unserem Synagogenblog (der allerdings aus denselben Gründen männlich dominiert ist) ermöglichen einen Einblick.

Im Fall von Klara Charon beispielweise geben uns die Quellen der Jüdischen Gemeinde Aufschluss über ihr Leben. Viele Frauen waren und sind sehr stark in den Gemeinden aktiv. Sie tauchen auf als Mitglieder von Komitees, Vereinen und Wohltätigkeitsorganisationen. Einige Vereine, wie der Begräbnisverein für die Frauen der Gemeinde, waren sogar komplett weiblich besetzt. In ihm war Klara Charon in der Gemeinde Kitzingen Vorsitzende. Ohne die Frauen wäre ein derart reiches und vielfältiges Gemeindeleben unmöglich gewesen. Daher finden sich in innergemeindlichen Archivalien, die jedoch leider häufig in der NS-Zeit zerstört wurden oder mit dem Niedergang der Gemeinden verloren gingen, oft mehr Hinweise auf weibliche Lebenswege und Aktivitäten als in behördlichem Schriftverkehr.

Wie schwierig es sein kann, mehr über das Schicksal von Frauen herauszufinden, zeigt auch das Beispiel von Elisabetha Götz. Am Anfang der Forschung stand eine Annonce in einer Lokalzeitung aus dem 19. Jahrhundert, die von der erfolgreichen Taufe einer Allersheimer Jüdin berichtete. Nicht einmal ein Name tauchte in der Anzeige auf. Dennoch sind auch Lokalzeitungen und Anzeigenblätter gute Quellen für weibliche Geschichtsforschung. Zum einen werden hier auch Vorgänge unterhalb der hohen behördlichen Ebene publik, zum Teil eigens von den Anzeigenschaltern lanciert. Zum anderen zeigt sich hier die hohe Wertschätzung, die Frauen auch zu dieser Zeit gemeindeübergreifend genießen konnten. Genannt seien hier beispielsweise Nachrufe, die oft lange Loblieder auf die zahlreichen Aktivitäten von Frauen in den Gemeinden enthalten und auch offenbaren, welche hohen Würdenträger in vielen Fällen den Begräbnissen beiwohnten. Im Fall von Elisabetha Götz war es letztlich die Verbindung von Zeitungsannoncen, behördlichen und kirchlichen Quellen, die es uns erlaubt zum ersten Mal einen Eindruck vom Leben der jungen Frau zu erhalten.

Besonders aussagekräftig, weil näher an den Menschen, sind persönliche Quellen. In ihren vielfältigen Formen erlauben sie es, tatsächlich ein Bild von einem Menschen zu zeichnen, über reine Lebensstationen hinaus. Und sie sind es auch, in denen immer wieder Frauen Erwähnung finden. Denn im persönlichen Erleben und Alltag waren Frauen natürlich ebenso wie heute genauso präsent wie Männer. Kein Wunder also, dass umfangreich über sie und von ihnen geschrieben wird. Jette Rothstein beispielsweise wird durch den Fund eines Briefes von ihr von einer Frau, von der wir nur reine Lebensdaten kennen zu einer jungen, durchaus frechen Dame, die modebewusst von städtischen Hüten träumt und mit den Briefen an ihre Schwägerin in Allersheim einen kleinen Skandal auslöst. Lilly Hanauer wird in den Schilderungen ihrer Schwester von einer in die USA emigrierten Lehrerin zu einer Frau mit tiefem Leid, die aus ihrem Beruf vertrieben wurde und sich in den USA mit Jobs in Sommercamps über Wasser halten musste, zumal sie als Deutsche Jüdin nicht selten als feindliche Ausländerin abgestempelt wurde. Und in den Gedichten von Anneliese Friedlein angesichts ihrer Bat Mitzvah offenbart sich ein kreatives, intelligentes, hoffnungsvolles und doch tief verunsichertes Mädchen, das kurz darauf kaltblütig ermordet wurde und doch so viel mehr war als nur ein Name auf einer Totenliste.

Frauen tauchen eben nicht weniger oft in der Geschichtsforschung auf, weil sie weniger geleistet, erlebt oder zu erzählen hätten. Sondern weil die Quellen allzu oft ihre Lebensleistung ignorieren. Zur Wahrheit gehört es jedoch auch, dass die biographische Forschung lange ebenfalls männlich dominiert war und wenig dazu beigetragen hat, das Bild der historischen Frau als biedere Hausfrau zu durchbrechen. Die Lebensgeschichten von Frauen zu rekonstruieren ist oft nicht einfach und vergleichsweise zeitintensiv. Doch es lohnt: Denn Frauen machen und schreiben Geschichte und sie sollten auch darin vorkommen!

 

Zum Abschluss der Blogparade #femaleheritage der Monacensia im Hildebrandhaus in München zum Thema „Frauen und Erinnerungskultur“ beteiligt sich das Fränkische Freilandmuseum mit einer kompletten #freilandfürzuhause Themenwoche zu #FrankensFrauen in den Sozialen Medien. Die zugehörigen Beiträge werden in den Blogs auf der Website veröffentlicht. Wir laden Sie ein, unbekannte Frauen und ihre Rollen sowie Arbeiten oder Relikte in unserem Bestand (neu) zu entdecken, mit Stereotypen aufzuräumen und in fränkische Frauenpower einzutauchen. Viel Vergnügen!