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Herrgottb’scheißerle und Züricher Wurstessen

Bis Ostern noch dauert die 40tägige Fastenzeit, die ihren Ursprung im frühen Christentum hat und auch heute noch eine Rolle spielt…

In der Chronik des Konzils zu Konstanz (1414-1418) ist auch von den Lebensmittelpreisen die Rede. Eine ganze Seite ist mit Speisen für die Fastentage illustriert. Hier gibt es Fisch, Schnecken, Frösche...

Speiseplan für das Spital in Dinkelsbühl, Stadtarchiv Dinkelsbühl, B244

Maultaschensuppe, https://commons.wikimedia.org/wiki/Maultaschen#/media/File:Maultaschen_suppe.jpg

Wurst(essen), Fundus/Benno Hofacker

https://7wochenohne.evangelisch.de/die-evangelische-fastenaktion-7-wochen-ohne

In diesem Blogbeitrag geht es um das Fasten. Bis zum Ostersonntag noch geht die Quadragesima, die 40tägige vorösterliche Fastenzeit. Wir steuern auf die Hohen Feiertage zu, dazu gehören auch Gründonnerstag und Karfreitag. Doch wieso fasten wir in dieser Zeit teilweise auch heute noch? Was bedeutet eigentlich Fasten, hungern oder verzichten? Was hat das Fasten mit Religion zu tun?

Fastenzeiten
Das Fasten hat eine lange Tradition im Christentum, man muss dazu zu den Anfängen zurück. In der Antike besaßen Askese und Fasten ein enormes Prestige und so ist es nicht verwunderlich, dass auch Christen mitunter fasteten. D. h. nicht nur Verzicht auf bestimmte Speisen, sondern allgemein Verzicht auf Essen und nur wenig Trinken. In Abgrenzung zum Judentum (Fastentage Montag und Donnerstag) bestimmte man im 1. Jahrhundert schon den Mittwoch und den Freitag zu Fastentagen. Auch zur Vorbereitung auf die Taufe sollte man fasten und die fand bei den frühen Christen an Ostern statt. So entwickelte sich nach und nach die 6wöchige Fastenzeit vor Ostern, die abzüglich der Sonntage und dann verlängert um 4 Tage mit Beginn an Aschermittwoch die 40 Tage ergeben[1]. In der weströmischen Kirche kam irgendwann zu Mittwoch und Freitag auch noch der Samstag als Fastentag dazu. Außerdem noch die Adventszeit vor Weihnachten, die Vigiltage vor wichtigen Festtagen und die sog. Quatembertage nach Quadragesima (s. o.), Pfingsten, Kreuzerhöhung und Lucia (13. Dezember). Da wurde von Mittwoch bis Samstag durchgehend gefastet. Die Quatembertage gehen teilweise auf vorchristliche römische Traditionen zurück. Kurz zusammengefasst entstand die christliche Fastentradition aus „frommen von der jüdischen Religion übernommenen Übungen und Strömungen aus der heidnisch-antiken Umwelt“[2].

Fastenregeln
Erst seit dem Mittelalter gibt es vereinheitlichte Fastenregeln und hier spricht man nun nicht mehr nur von Fasten, sondern auch von Abstinenz. Fasten bedeutete zumeist nur noch eine Mahlzeit am Tag statt zwei und Abstinenz bedeutete den Verzicht auf Fleisch warmblütiger Tiere, Eier, Milchprodukte und tierische Fette. Außerdem sollte an Fastentagen nicht gefeiert werden, Tanz war verboten und auch zu sexueller Enthaltsamkeit war man angehalten. Im Frühmittelalter wuchs die Bedeutung des Fastens als kultische Reinigung und Bußhandlung, v. a. im Mönchtum wurde es teilweise auf die Spitze getrieben. Es gab sogar Exorzismusfasten, durch das man durch Speisen eingedrungene Dämonen loszuwerden hoffte. Im Spätmittelalter wurde die innere Frömmigkeit immer wichtiger, wichtiger noch als die kultische Reinheit. Das Fasten geschah mit dem Hang zu einer Leistungs- und Verdienstpraxis. Genauso wie der Ablass oder das Stiften konnte Fasten als gutes Werk dienen und oftmals versuchte man sich dadurch Sündenfreiheit zu „erfasten“.

Über die Fastenpraxis im Spätmittelalter sind wir gut informiert über die Speiseordnungen in den Spitälern. Auch im Windsheimer Spital gab es so eine Ordnung, die uns viel über die Ernährungsweise der Menschen im Spital verrät. Dort galt im Spätmittelalter noch der Brei-Mus-Standard mit Ergänzung durch Suppen, Gebratenes und Gesottenes. Es wurden für die Normalwochen außerhalb der Fastenzeiten Wochenspeisepläne erstellt, die oftmals bis in die Frühe Neuzeit Anwendung fanden. Für die Fastenzeiten selbst gab es extra Regelungen, die uns aber aus Windsheim nicht bekannt sind. Ein Beispiel aus dem Dinkelsbühler Spital kann aber zum Vergleich herangezogen werden. „…man gibt auch alle Tage in der Fasten[zeit] eine Erbsensuppe, ein Kraut, jedem einen Hering drauf, jedem ein Stück Fisch, ein Ziemes (Gemüse) oder ein Mus“. Am Aschermittwoch gab es als besonderes Essen „Hofweck“, also Semmeln, auch alle 3 Tage dann bis Ostern. Eine Breze war auch mal drin oder Steckrüben. Der Hering war ein hansisches Produkt aus Norddeutschland, gepökelt und geräuchert und somit monatelang haltbar. Alternativ gab es Stockfisch, sonnengetrockneten Kabeljau, der aber erst weichgeklopft und gewässert werden musste, um genießbar zu sein. An den hohen „Fastenfeiertagen“ wie z. B. Maria Verkündigung, Gründonnerstag oder Karfreitag gab es in Dinkelsbühl gesottene oder gebratene Süßwasserfische, Karpfen oder sogar Lachs stand auf dem Speiseplan. Gleiches kann man für Windsheim eventuell auch annehmen, denn hier war die Versorgung des Spitals mit Süßwasserfischen ebenso gegeben.

Weil der Fisch teuer war und zum großen Teil auch zugekauft werden musste, ging man ab dem 17. Jahrhundert dazu über den Fisch durch Mehlspeisen zu ersetzen. Knödel, Klöße, Backwerk, Koch oder Nudeln sättigten besser als Getreidebreie oder Suppen. Das feinere Mehl[3] konnte zusammen mit Eiern, Schmalz und/oder Milch zu Teig verarbeitet werden und in verschiedenste Formen gebracht werden. Auch zu sog. Scheingerichten, bei dem die Gerichte wie eine verbotene Speise aussahen, aber nichts Verbotenes verarbeitet wurde. Also z. B. Kuchen oder Brote, die wie Schweinebraten aussahen, aber kein Fleisch enthielten. Umgekehrt sind so vermutlich die „Herrgott-B’scheißerle“ entstanden, wie z.B. die Maultaschen. Von außen ist die Füllung aus Fleisch nicht sichtbar – so ging es als Fastenspeise durch. Auch wenn damit der „Herrgott“ quasi hinters Licht geführt wurde.

Züricher Wurstessen
Die bereits erwähnte Leistungs- und Verdienstpraxis im Bezug auf das Fasten ebneten den Weg für die Reformatoren. Sie brachen mit der mittelalterlichen Fastenpraxis auf unterschiedlichste Weise. Luther unterstützte das Fasten, um offen für das Wort Christi zu bleiben. Auch in der Confessio Augustana - der lutherischen Bekenntnisschrift - kommt das Fasten vor[4].

Demonstrativ wehrten sich die Reformatoren jedoch gegen die „von oben verordneten“ traditionellen Fastentraditionen. Am eindrücklichsten geschah dies beim sog. „Züricher Wurstessen“ oder auch „Froschauer Wurstessen“ am 1. Sonntag der Fastenzeit 1522. Ganz bewusst verzehrten angesehene Züricher Bürger im Haus des Buchdruckers Christoph Froschauer Würste – und verstießen damit gegen das Fastengebot. Damit riskierten sie Kerkerhaft und hohe Geldbußen. Ulrich Zwingli, der beim Wurstessen ebenfalls mit dabei gewesen war, rechtfertigte die „Ordnungswidrigkeit“ mit seiner Predigt „Von Erkiesen (Auswählen) und Fryheit der Spysen“ damit, dass es keine biblischen Belege dafür gab. Nachdem die Predigt beim Froschauer Druck erschienenen war und damit in die Öffentlichkeit gelangte, beschimpften und verprügelten sich Befürworter und Gegner der Fastengebote. Letztlich überzeugte Zwingli mit seinem Schriftprinzip den Rat der Stadt als weltliche Behörde, die ein Jahr später die kirchlichen Fastengebote aufhob- ein erster Meilenstein gegen die religiöse Bevormundung in der Geschichte der Schweizer Reformation[5].

Christliche Freiheit zielt dabei vor allem auf eine innere Freiheit, auf eine innere Neuausrichtung mit Blick auf Christus. Es geht nicht um ein egoistisches „Losgelöstsein“ von Allem, sondern darum, sich zu besinnen, auf was es ankommt. So ist es – nach Zwingli – eben auch Aufgabe der Obrigkeit, Gesetze zu erlassen, die ein gewisses Maß an Freiheit ermöglichen. Denn: „Nur wo Recht herrscht, ist auch Freiheit möglich.“ [6]

Aktuelle Fastenaktionen
Aktuelle Fastenaktionen knüpfen an den Gedanken der Freiheit an, indem sie bewusst dazu einladen, auf etwas zu verzichten, das einen „unfrei“ macht. Im Kontext der Reformen rund um das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) wurden auch die Fastenregeln von der katholischen Kirche gelockert. Anstatt eines generellen Fastengebotes sollte bewusst auf Genussmittel Alkohol, Nikotin oder Süßigkeiten als Zeichen der Buße und Besinnung verzichtet werden.

Ein ökumenisches Projekt in der Fastenzeit sind in Bayern die „Alltagsexerzitien“. Das Wort „Exerzitien“ gibt dabei die Richtung vor. Es geht um die persönliche spirituelle Ausrichtung und Vertiefung des eigenen Glaubens, also darum „Gott in den Geschehnissen des eigenen Lebens neu zu entdecken und mehr wahrzunehmen“. Unterstützend dazu gibt es ein Exerzitienbuch, sowie geschulte Gruppenleiter:innen vor Ort oder auch online, in denen sich die Teilnehmenden wöchentlich zum gemeinsamen Austausch über ihre Erfahrungen treffen. Die Ökumenischen Alltagsexerzitien werden bereits seit 2013 vom Kirchenkreis Bayreuth und der Erzdiozöse Bamberg durchgeführt[7].

Auch die evangelische Fastenaktion „7 Wochen ohne“ lädt seit 1983 dazu ein, die Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern ganz grundsätzlich bewusst zu erleben und zu gestalten. Es geht darum, sowohl mit Gewohnheiten zu brechen (ohne) als auch darum, neue Perspektiven und Einsichten zu gewinnen (mit). Die diesjährige Aktion „7 Wochen ohne Alleingänge: Komm rüber!“ hat daher u. a. „mit der Schöpfung“ oder „mit der weiten Welt“ als wöchentliche Unterthemen. Zahlreiche Angebote von Gottesdiensten bis hin zu Fastengruppen vor Ort oder online dienen dabei der Unterstützung[8].

Erstmals seit 2024 gibt es die deutschlandweite Initiative von 24 evangelischen und katholischen Partner:innen, die zur ökumenischen Aktion Klimafasten aufruft. Der besondere Blick richtete sich dabei auf das richtige Maß bezüglich dem eigenem Haushalten - mit weniger Energie oder veränderter Mobilität als wichtiger Beitrag für mehr Ressourcengerechtigkeit[9].

Den grundsätzlichen Gedanken der „Besinnung“ greifen aber auch Fastenaktionen auf, die ganz ohne religiösen oder kirchlichen Bezug sind. Mit der Gesundheitskampagne „Dry January“ wird dafür geworben, das neue Jahr einen Monat lang ohne Alkohol und damit gesünder zu beginnen. Heilfasten oder beispielsweise auch das Intervallfasten, bei dem mehr als die Hälfte des Tages ganz auf Essen verzichtet wird, soll den Körper unterstützen, wieder in Balance zu kommen und mit dem körperlichen auch das seelische Wohlbefinden zu steigern.

 

 

Literatur:

Klaus Unterburger, Die religiösen Ursprünge des Fastens, in: Artur Dirmeier (Hg.), Essen und Trinken im Spital. Ernährungskultur zwischen Festtag und Fasttag (Studien zur Geschichte des Spital-, Wohlfahrts- und Gesundheitswesens Bd.13), Regensburg 2018, S. 55-65.

Martin Scheutz, Alfred StefanWeiß, Speisepläne frühneuzeitlicher, östereichischer Spitäler in Fest- und Fastenzeiten und die Kritik an der Ernährungssituation im Spital, in: Artur Dirmeier (Hg.), Essen und Trinken im Spital. Ernährungskultur zwischen Festtag und Fasttag (Studien zur Geschichte des Spital-, Wohlfahrts- und Gesundheitswesens Bd.13), Regensburg 2018, S. 111-211.

 

Rezept-Tipp für Karfreitag:

„Knödel, auch Würst von Fisch“ aus: Balthasar Staindl, Ein sehr künstlichs und nutzlichs Kochbuch, Augspurg 1569, fol. 19v + fol. 20r, https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10990136?page=50,51

 


[1] Vorbild für die 40 Tage soll das Fasten Jesu in der Wüste gewesen sein, dazu auch Moses und Elia.

[2] Klaus Unterburger, Die religiösen Ursprünge des Fastens, in: Artur Dirmeier (Hg.), Essen und Trinken im Spital. Ernährungskultur zwischen Festtag und Fasttag (Studien zur Geschichte des Spital-, Wohlfahrts- und Gesundheitswesens Bd.13), Regensburg 2018, S. 58.

[3] Die Erfindung des Beutelkastens im Mühlwesen Ende des 16. Jahrhunderts führte zu einer Verfeinerung des Getreidemehls.

[4] Artikel 26: Von der Unterscheidung der Speisen. Der Artikel behandelt entgegen seiner Überschrift nicht nur Speisevorschriften und Fastenregeln, sondern auch die Askese und Selbstzucht im Allgemeinen. Fasten und andere Formen der Askese werden gemäß Lk 21,34, Mt 17,21 und 1Kor 9,27 grundsätzlich bejaht, jedoch wird abgelehnt, dass man sich dadurch das Heil erwerben kann bzw. dass sie heilsnotwendig seien.

[5]https://de.wikipedia.org/wiki/Wurstessen  aufgerufen am 22.03.2024

[6] Zitat aus https://www.nzz.ch/feuilleton/zuercher-wurstessen-was-die-reformation-unter-freiheit-verstand-ld.1672297 aufgerufen am 22.03.2024

[7] vgl. https://alltagsexerzitien.de/teilnehmen/grundinfos/index.html aufgerufen am 22.03.2024

[8] vgl. https://7wochenohne.evangelisch.de/die-evangelische-fastenaktion-7-wochen-ohne aufgerufen am 22.03.2024

[9] vgl. https://klimafasten.de aufgerufen am 22.03.2024