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Ich bin ein armer Exulant …

Forschungen zum Thema Evangelische Migrationsgeschichte(n)

Ausschnitt aus gerahmter Porträtkopie Joseph Schaitbergers, Original in den Hausbüchern der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung Nürnberg (Amb. 317b.2° Folio 236 recto, Mendel II), Sammlung Museum Kirche in Franken

Erste Strophe des "Trostlied eines Exulanten", gedichtet von Joseph Schaitberger 1686

Gedenkblatt zur Emigration der Salzburger Protestanten (Ausschnitt), Augsburg 1732, Kupferstich von Johann Jacob Kleinschmidt nach Paulus Decker. Original im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg

Unsere Spitalkirche wird saniert – das Museum Kirche in Franken ist geschlossen. Gelegenheit zum Zurücklehnen und Ausruhen gibt es für die Museumsmitarbeiter in dieser Abteilung aber deswegen nicht. Im Gegenteil – es ergibt sich Gelegenheit, neue Projekte zu beginnen.

Im Jahr 2023 plant das Museum Kirche in Franken eine Sonderausstellung zum Thema Evangelische Migrationsgeschichte(n). Genauer geht es um religiös motivierte Migration im 17. und 18. Jahrhundert. Wegen ihres Glaubens wurden die Exulanten aus den österreichischen Gebieten vertrieben und die Hugenotten und Waldenser aus Frankreich und kamen zum Teil in fränkische Gebiete, wo sie sich niederließen.

Einen sehr kurzen Abriss dieser Geschichte können Besucher/innen (normalerweise) bei uns in der Dauerausstellung entdecken. Im Zuge der Forschungen für die Sonderausstellung 2023 werden wir diesen kleinen Bereich ausdehnen und mit detaillierteren, neuen und vor allem mehr biographischen Erkenntnissen füllen. So schauen wir uns auch das von Joseph Schaitberger 1686 verfasste „Trostlied eines Exulanten“ noch einmal genauer an.

Der Dürrnberger Knappe Joseph Schaitberger musste 1686 seine Heimat verlassen und zog nach Nürnberg. Auf dem Weg soll er folgende Zeilen gedichtet haben:

1.   Ich bin ein armer Exulant, also muss ich mich schreiben.

Man tut mich aus dem Vaterland um Gottes Wort vertreiben.


2.   Doch weiss ich wohl, Herr Jesu mein, es ist dir auch so gegangen.
Jetzt soll ich dein Nachfolger sein; mach´s Herr, nach deinem Verlangen.
3.   Ein Pilgrim bin ich auch nunmehr, muss reisen fremde Strassen,
drum bitt ich dich, mein Gott und Herr, du wollst mich nicht verlassen.
4.   Ach steh mir bei, du starker Gott, dir hab ich mich ergeben,
verlass mich nicht in meiner Not, wann´s kosten soll mein Leben.
5.   Den Glauben hab ich frei bekennt, des darf ich mich nicht schämen.
Ob man mich einen Ketzer nennt und tut mir´s Leben nehmen.
6.   Ketten und Banden war mir eine Ehr, um Jesu Willen zu dulden,
denn dieses macht die Glaubenslehr und nicht mein bös Verschulden.
7.   Ob mir der Satan und die Welt all mein Vermögen rauben,
wenn ich nur diesen Schatz behalt: Gott und den rechten Glauben.
8.   Herr, wie du willst, ich geb mich drein, bei dir will ich verbleiben.
Ich will mich gern dem Willen dein geduldig unterschreiben.
9.   Muss ich gleich in das Elend fort, so will ich mich nicht wehren,
ich hoffe doch, Gott wird mir dort auch gute Freund bescheren.
10. Nun will ich fort in Gottes Nam´ - alles ist mir genommen,
Doch weiss ich schon, die Himmelskron werd ich einmal bekommen.
11. So geh ich heut von meinem Haus, die Kinder muss ich lassen.
Mein Gott, das treibt mir Tränen aus, zu wandern fremde Strassen.
12. Ach führ mich Gott in eine Stadt, wo ich dein Wort kann haben,
damit will ich mich früh und spat in meinem Herzen laben.
13. Soll ich in diesem Jammertal noch lang in Armut leben,
Gott wird mir dort im Himmelssaal eine bessere Wohnung geben.
14. Wer dieses Liedlein hat gemacht der wird hier nicht genennet,
des Papstes Lehr hat er veracht und Christus frei bekennet.

Es gibt in den verschiedenen überlieferten Auflagen jeweils kleinere Abweichungen. Der Text soll auf die von Michael Praetorius (1571-1621) 1610 geschaffene Melodie „Ich dank dir schon durch deinen Sohn“ gesungen worden sein. Vor allem bei den Salzburger Exulanten in den Jahren 1731/32 war das Lied im Rahmen des großen Exodus zu hören – obwohl vom Schicksal her nicht ganz zu vergleichen, identifizierten sich die Auswanderer des 18. Jahrhunderts über das Lied mit den Leidensgenossen, die ca. 50 Jahre früher das Land verlassen mussten. 

Schaitbergers Exulantenlied rief nach seiner Veröffentlichung auch die Katholiken musikalisch auf den Plan, es entstanden mindestens zwei Parodien. In der einen heißt es in der ersten Strophe:

„Du bist ain armer Exulant,

Also thuest du dich schreiben,

Di Ursach gibst ganz clar an handt,

Weilst Kötzerey thuest treiben …“.

Schaitberger wird als Ketzer und verblendeter Mann attackiert, der sich alles, was ihm widerfuhr, selbst zuzuschreiben habe. Ähnlich auch in der zweiten bekannten Parodie, in der Schaitberger und die Exulanten ebenso hart angegriffen wurden. 

Trotz der Häme durch die Parodien, erschien das „Trostlied“ für die Exulanten spätestens im Jahr 1732 wiederholt in gedruckter Form. Der Weg der Salzburger Exulanten im 18. Jahrhundert bis nach Ostpreußen wurde durchgängig von vielen Liedern begleitet. Der Luther-Klassiker „Eine feste Burg ist unser Gott“ (EG 362) entwickelte sich gar zu einem Einzugslied, welches sie laut diversen Quellen „sungen“ und „laut intonirten“, immer wenn sie in eine neue Stadt einzogen. Weitere Hits aus dem religiösen Bereich waren „Von Gott will ich nicht lassen“ (EG 365), „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ (EG 369) oder „Wer Jesum bei sich hat“.

Schaitbergers Exulantenlied ist bis heute weithin bekannt und auch heute noch im österreichischen evangelischen Gesangbuch unter der Nummer 625 abgedruckt. In der geplanten Sonderausstellung 2023 wird es auf jeden Fall eine Rolle spielen.

 

 

 

 

Literatur:

Annette Hailer-Schmidt, „Hier können wir ja nicht mehr leben“. Deutsche Auswandererlieder des 18. und 19. Jahrhunderts – Hintergründe, Motive, Funktionen, Marburg 2004, S. 515-543.

Reformation – Emigration. Protestanten in Salzburg, Katalog zur Ausstellung vom 21. Mai bis 26. Oktober 1981 auf Schloß Goldegg, Pongau, Land Salzburg, Salzburg 1981, 83f., 146-150.

Raymond Dittrich, Die Lieder der Salzburger Emigranten von 17331/32. Edition nach zeitgenössischen Textdrucken, Mainzer hymnologische Studien (Bd. 22), Tübingen 2008, S. 102-106.