Justin Jakob Neuhaus
Das Leben von Justin Jakob Neuhaus steckte voller Wendungen und endete tragisch. Geboren wurde er am 30.09.1900 in Frankfurt am Main als Sohn von David und Klara Neuhaus, einer geborenen Friedlein. Er war damit der Enkelsohn des Allersheimers Bernhard Friedlein. 1913 verzog er mit seinen Eltern innerhalb Frankfurts in die Gaußstraße 14, unweit des Bethmannparks. Im Oktober des gleichen Jahres feierte Justin in der Börneplatzsynagoge seine Bar Mitzvah und wurde im religiösen Verständnis mündig. Als Schüler der Samson Raphael Hirsch Realschule war er mit der neo-orthodoxen jüdischen Lehre ohnehin vertraut. Dies zeigt sich auch daran, dass Justin Neuhaus noch im Mai 1927 als Vertreter der Jugend dem Vorstand des Frankfurter Talmud-Thora-Vereins beiwohnte.
Beruflich jedoch entschied sich der junge Mann für eine weltliche Karriere. Nachdem er zunächst in einem jüdischen Betrieb eine Bankenlehre absolviert hatte, übernahm er schließlich 1927, nach dem Tod seines Vaters, gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder Siegbert Samuel dessen Geschäft für Manufaktur- und Weißwaren, welches im Jahr 1930 seinen Sitz in der Heiligkreuzgasse 24 hatte. Im Gedenken an den Vater spendeten die Brüder zudem im Schuljahr 1927/28 20 Mark an die Bibliothek und Schulbücherstiftung der stiftischen Realschule der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Frankfurt. Später jedoch setzte Justin seinen eigenen Plan um und gründete, wiederum mit seinem Bruder, die Firma „Gebrüder Neuhaus OHG Fabrikation feinster Lederwaren“. Auf der Zeil, der berühmten Frankfurter Einkaufsmeile, boten die Brüder in der Hausnummer 46 ihre Waren an. Justin war zudem gemeinsam mit einem Geschäftsmann aus Mühlheim an der Ruhr Teilhaber der Firma „Röder & Co“, die zunächst noch aus dem Elternhaus, ab 1935 jedoch in der Porzellanhofstraße 2 betrieben wurde.
Die Geschäfte liefen so gut, dass Justin Neuhaus sich einen gehobenen bürgerlichen Lebensstil leisten konnte. Zuhause bewegte er sich zwischen Perserteppichen und Ölgemälden und war zudem ein eifriger Leser der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Dennoch blieb er stets auch seiner Religion treu und hielt sich gewissenhaft an deren Regeln.
Und doch hatte der erfolgreiche Geschäftsmann bald erkannt, dass das Leben in seiner Heimatstadt für ihn nicht mehr sicher war. Bereits ab 1931 bemühte er sich mit seiner Familie um Visa für die Emigration in die USA oder ein anderes amerikanisches Land. In Vorbereitung auf eine mögliche Flucht gab er gemeinsam mit seinem Bruder die elterliche Wohnung auf, auch weil durch die Boykottaktionen der Nationalsozialisten ab 1933 die Geschäfte zunehmend schlechter liefen. Justin Neuhaus zog vom 3. in den 1. Stock des Hauses um, wo er zur Untermiete bei Erna Mannheimer unterkam. Wie schwierig es allerdings war, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Emigration zu schaffen, beweist der Umstand, dass auch sieben Jahre nach den ersten Bemühungen keine realistische Aussicht auf Auswanderung bestand. In der Zwischenzeit hatte sich in Justin Neuhaus Leben einiges verändert. Im Juli 1937 hatte er sich mit Helene Seligmann verlobt, am 16. September folgte die Hochzeit. Noch in Frankfurt wurde am 27.06.1938 das erste Kind des Paares, Peter David, geboren.
Doch an ein friedliches Familienleben war nicht mehr zu denken. Als bei den Novemberpogromen 1938 Geschäftsräume und Warenlager seiner Firma verwüstet wurden und dabei Waren und Büroeinrichtung auf der Straße endeten, wurde Justin Neuhaus die Dringlichkeit der Ausreise noch einmal schmerzlich bewusst. Wenige Wochen später, am 21. November, machte er sich mit seiner kleinen Familie und der Familie seines Bruders auf den Weg nach Amsterdam. Dort wurde im August 1941 das zweite Kind des Paares, Tochter Judith, geboren. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Nationalsozialisten die Niederlande bereits besetzt. Gemeinsam wurde der Plan geschmiedet, auf einem Fischerboot die Reise ins sichere England anzutreten. Doch die Weltgeschichte meinte es nicht gut mit der kleinen Familie. Die Bombardierung des Amsterdamer Nordseehafens durch die Briten verhinderte ein Auslaufen des Bootes. Was folgte war eine der drastischsten Entscheidungen, mit denen ein Elternpaar konfrontiert werden kann. Im Angesicht der allgegenwärtigen Lebensgefahr, in der jedes zu laute Babygeschrei die versteckt lebende Familie gefährdet hätte, entschlossen sich Justin Jakob und Helene Neuhaus 1943 dazu, die Hilfe einer niederländischen Untergrundorganisation anzunehmen und Tochter Judith bei einer friesischen Familie in Sicherheit zu bringen. Diese Entscheidung, die der Tochter das Leben rettete, wurde für die Eltern verhängnisvoll. Ein Mann, der Judith frische Kleidung bringen sollte, flog auf. Als daraufhin die Kontakte der Familie Neuhaus zur Untergrundorganisation offengelegt wurden, verhafteten die Nationalsozialisten Justin Jakob und Helene Neuhaus am 25.03.1943 in ihrer Wohnung. Vermutlich wurde an diesem Tag auch Peter David entdeckt und interniert. Nachdem alle drei zunächst eine Zeit im Lager Westerbork in den Niederlanden gefangen gehalten wurden, wurde Justin Jakob am 18. Mai nach Sobibor deportiert. Was er zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, war, dass seine Frau und sein Sohn, die beide vor ihm diesen Weg angetreten hatten, wenige Tage zuvor in Sobibor ermordet worden waren. Auch Justin Jakob Neuhaus überlebte im Vernichtungslager nur drei weitere Tage. Die schmerzhafte Rettung seiner Tochter kostete ihn letztendlich das Leben.
Justin Jakob Neuhaus
The life of Justin Jakob Neuhaus was full of twists and ended tragically. He was born on September 30th of 1900 in Frankfurt on the Main as a son of David and Klara Neuhaus, a born Friedlein, making him the grandson of Bernhard Friedlein from Allersheim. In 1913 he and his parents moved within Frankfurt to Gaußstraße 14, near Bethmannpark. In October of said year, Justin celebrated his Bar Mitzvah in the „Börneplatz“-synagogue of Frankfurt, making him religiously mature. As a student of the Samson Raphael Hirsch Middle School he was familiar with the concept of jewish Neo-Orthodoxy. This is also shown by the fact that he was the representative for the youth in the board of the Frankfurt Talmud-Thora-Association in May of 1927.
In terms of profession, however, the young man chose to follow worldly paths. After he completed an apprenticeship in a jewish bank, he took over the business of his late father in 1927, along with his brother Siegbert Samuel and his mother. The store for manufactured and linen goods was located in Heiligkreuzgasse 24 in 1930. In remembrance of their father, Justin and Siegbert also donated 20 Mark to the library and school book fund of the Middle School of the Israelitic Religious Association in the school year of 1927/28. Later on Justin developed his own plan together with his brother and founded the „Gebrüder Neuhaus OHG Fabrikation feinster Lederwaren“, which fabricated leather goods and was located on the famous shopping mile of Frankfurt, the „Zeil“ under house number 46. Additionally, Justin was partner of the company „Röder & Co“, which had originally operated from his parental home but was later moved to Porzellanhofstraße 2 in 1935. The other partner of the company was a business man from Mühlheim an der Ruhr.
Business flourished and soon Justin Neuhaus led the life of a member of the upper bourgeoisie. At home he was surrounded by oil paintings and persian carpets and he was a frequent reader of the „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Nonetheless he remained very religious and carefully followed religious rules.
But the succesful business man soon realized that a life in his hometown was no longer safe for him. As early as 1931, he tried to gain a visa for emigration to the United States or another American country along with his family. In preperation for a possible departure his brother and him gave up the parental apartment and Justin changed from the third story of the building into the first, where he rented a room from Elsa Mannheimer. Saving money seemed especially important since the boycotts of the national socialists had seriously harmed business since 1933. How hard it was to get a visa for the United States is illustrated by the fact that even seven years after his first attempts, Justin Neuhaus still had not been able to obtain one for him and his family. In the meantime a lot had changed in his life: In July of 1937 he had gotten engaged to Helene Seligmann, whom he married on September 16th. Their first child Peter David was still born in Frankfurt on June 27th of 1938.
A peaceful family life, however, was no longer possible. When his business rooms and stockrooms were vandalized during the november pogroms of 1938 and office furniture and goods ended on the streets, it became painfully clear to Justin Jakob Neuhaus, that they had to leave immediately. Just a few weeks later, on November 21st, he left Frankfurt for Amsterdam with his little family and the family of his brother. There, Justin and Helene's second child, a daughter named Judith, was born in August of 1941. At this time the national socialists had already invaded the Netherlands. A plan was made to leave the country to the safe harbour of England but world history ended all hopes. When the British troops bombed the harbout of Amsterdam, all hopes for leaving via boat became obsolete. What followed was one of the most tragic decisions that parents can possibly face. Under the impression of constant mortal danger, in which every screaming of the baby could have given the location of the hidden family away, Justin and Helene Neuhaus decided in 1943 to cooperate with a dutch underground organization and bring Judith to safety in a Frisian family. This decision, that saved Judith’s life, became a tragic one for the rest of the family. When a man carrying clothes for Judith was arrested, the connection of the Neuhaus family to the underground organization was revealed. On March 25th of 1943, Justin, Helene and probably also Peter Neuhaus were arrested in their apartment. After they had first been kept as prisoners in Westerbork camp in the Netherlands, Justin was deported to Sobibor on May 18th. What he did not know was that his wife and son, which had been deported with the same destination earlier, were already dead at this time. For three days, Justin Jakob Neuhaus was able to survive in Sobibor, than he was murdered by the national socialists. The painful rescue of his daughter had cost his life in the end.
Quellen
Netherlands, Noord-Holland, Civil Registration, 1811-1950, Amsterdam, Overlijden 1946-1948.
Stadt Frankfurt am Main: Neuhaus, Helene, Justin und Peter David.
Geni – Genealogische Datenbank.
Neue Jüdische Presse vom 15.10.1913.
Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main (Mai 1927).
Michels, Claudia: Die Historie nebenan. In: Frankfurter Rundschau 03.11.2010.
Amtliches Frankfurter Adressbuch 1930.
Amtliches Frankfurter Adressbuch 1933.
Amtliches Frankfurter Adressbuch 1935.
Bericht über das Schuljahr 1927/28 der stiftischen Realschule mit Lyzeum der israelitischen Religionsgemeinschaft in Frankfurt am Main.
Autorin Hebauf: „Ich konnte mit den Recherchen nicht mehr aufhören!“. In: Kronberger Bote 14.04.2011.
Der Israelit vom 22.07.1937.
Jüdische Rundschau vom 01.10.1937.
Der Israelit vom 30.06.1938.
Jarach, Andrea M.: Judge won't suspend Demjanjuk plea over FBI file. In: Huffington Post 14.04.2011.
Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main: 4. Dokumentation 2006.
Gehtto Fighter’s House Archives: A collection of family letters received by Josef Seligmann and his wife Miriam, nee Cohn.
University College London: Holocaust Education.
Yad Vashem The Righteous Among the Nations Database.
Facebook – Soziales Netzwerk.
Shaare Zedek Medical Center Jerusalem: Dr. Gabriella Aschkenasy.