Kolosseum & Co.
Johann Christian Reinhart (1761-1847), der Deutschrömer aus Hof, schuf zahlreiche Radierungen mit architektonischen Motiven. Darunter auch viele Bauwerke aus der Antike. Für ihn waren dies „die schönsten Werke der Kunst […] hier“, die für ihn klare ästhetische Vorbilder darstellten. Doch was steckt eigentlich hinter den Bauwerken, die Reinhart in ihrem damals aktuellen Zustand porträtierte?
Drei der Bauwerke, die schön in die Landschaft eingebettet erscheinen, hatten bereits zu Reinharts Zeiten eine lange Geschichte hinter sich und in ihrem Ursprung zumeist eine ganz andere Bedeutung oder Nutzung wie zur Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert.
Das berühmteste Beispiel ist wohl das Kolosseum. In zwei Ansichten 1792 und 1793 hat Reinhart einen kleinen Teil der ruinösen und bewachsenen Architekturreste wiedergegeben. Auf der Radierung von 1793 sind zwei übereinander angeordnete Arkadenreihen noch erkennbar, der Rest ist unter der Erde und der Vegetation verborgen. Begonnen wurde mit dem Bau des größten Amphitheaters der Antike im Jahre 72 n. Chr. Kaiser Vespasian (69 – 79 n. Chr.), der erste Kaiser der Flavischen Dynastie, finanzierte die Errichtung mit der Beute aus dem Jüdischen Krieg, u. a. mit dem Tempelschatz aus Jerusalem. Es entstanden nach und nach drei übereinander angeordnete Arkadenreihen mit je 80 Bögen. 80 n. Chr. wurde das Amphitheatrum Flavium von Vespasians Nachfolger Titus mit 100tägigen Spielen eröffnet. 50.000 Zuschauer konnten sich dort fast 450 Jahre lang von Gladiatorenkämpfen, Tierhetzen und Wasserkämpfen unterhalten lassen. In der Spätantike wurde es durch mehrere Erdbeben und Kriege zerstört. Im Mittelalter diente es teilweise als Wohnraum oder wurde Teil einer Festung. Bis in die Zeit des Barocks wurde es immer wieder von römischen Familien und den Päpsten als Steinbruch genutzt. Zu Reinharts Lebzeiten war dieser Raubbau unterbunden, da es als Märtyrer-Stätte der Christen galt. Mitte des 19. Jahrhunderts, also kurz nach Reinhart, begann man den Bau zu sichern und archäologisch zu erforschen. Seinen Namen übrigens erhielt das Kolosseum wohl nicht wegen seiner kolossalen Größe, sondern von einer Kolossalstatue des Kaisers Nero, die bis ins Mittelalter noch neben dem Amphitheater stand.
An der Via Nomentana entstand in der republikanischen Zeit ein Mausoleum. Es wird Menenius Agrippa (540-493 v. Chr.) zugeschrieben. Viele der römischen Grabmäler entstanden aufgereiht an den wichtigsten Straßen, die aus der Stadt führten. Diese sog. Gräberstraßen dienten den Römern zur Repräsentation von Macht und Einfluss auch über den Tod hinaus. Reinhart bannte das genannte Mausoleum als „Antikes Grabmal an der Via Nomentana, in der Nähe des Ponte Nomentano“ auf Papier. Erstaunlich, dass er die im Titel erwähnte Brücke über den nahen Fluss Aniene nie abgebildet hat. Bei seinen Künstlerkollegen erfreute sie sich durchaus großer Beliebtheit. Heute ist diese idyllische Landschaft in die Stadt Rom als Stadtteil Monte Sacro eingebunden und das Grabmal nur eine Ruine von vielen entlang der alten Römerstraße.
Auf einem Werk ist ein verfallenes Bauwerk zu sehen, dass sich laut Reinhart „In der Nähe des Circus des Caracalla“ befindet. Im 19. Jahrhundert schrieb man diese Ruinen noch Kaiser Caracalla (211 - 217 n. Chr.) zu. Mittlerweile ist dieser Komplex in der Forschung als Circus des Maxentius bekannt. Der Tetrarchenkaiser Maxentius (306 - 312 n. Chr.) ließ an der Via Appia einen riesigen Palastkomplex mit angeschlossenem Circus und einem Grabmal errichten. Der Circus des Maxentius ist einer der am besten erhaltenen Wettkampfstätten aus der Antike. In ihm fanden Wagenrennen, Tierhetzen und andere öffentliche Veranstaltungen sowie politische Kundgebungen statt. Nettes Nebendetail: Zu Ehren seines verstorbenen Sohnes Valerius Romulus versetzte Kaiser Maxentius in die spina des Circus (teilt in der Mitte die Rennbahnen voneinander) den mit Hieroglyphen geschmückten Obelisk des Domitian (81 - 96 n. Chr.). Dieser wiederum stammte ursprünglich aus Assuan und wurde unter Domitian nach Rom in einen Isis-Tempel gebracht. Heute steht der Obelisk an der Piazza Navona und ist Teil des Vierströmebrunnens von Gian Lorenzo Bernini.