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Michel Claravaux - Pionier der Schwabacher Teppichwirkerei

Und noch eine "evangelische Migrationsgeschichte" ...

Allegorie des Frühlings aus einer Folge der „Vier Jahreszeiten“, Schwabach, um 1745, Wirkteppich, gefärbte Wolle und Seide, Stadtmuseum Schwabach. Auftraggeber und Bestimmungsort dieses Gobelins aus der Manufaktur Claravaux sind unbekannt. Im Zentrum erblickt man als Allegorie des Frühlings die thronende Aphrodite (Venus) mit dem geflügelten Erosknaben (Amor), der ihr einen goldenen Apfel reicht. Die Zentralfigur wird betont und überhöht von zwei einen Baldachin stützenden Karyatiden. Blumengebinde, - sträuße und -girlanden versinnbildlichen mit einem Bienenkorb und Symboltieren die Fruchtbarkeit des Frühlings.

Die zehn Gebote der französisch-reformierten Kirche. Schwabach, um 1710, Tapisserie, Evangelisch-reformierte Gemeinde Schwabach. Aus der Schwabacher Werkstatt stammt dieser Wandschmuck, der zum festen Inventar der Schwabacher Franzosenkirche zählt. Vor jedem Gottesdienst wurden die zehn Gebote durch einen Lektor verlesen.

Sicher sind Sie auch schon einmal staunend vor einem der großen Wandteppiche gestanden, wie sie die hohen Wände zahlreicher Schlösser zieren und haben sowohl deren handwerkliche Ausgestaltung als auch deren Bildsprache bewundert. Einige dieser Behänge zeugen von der Blütezeit der  Gobelinwirkerei, die in Schwabach durch den hugenottischen Wirker Michel de Claravaux (1646–1688) angesiedelt wurde.

Seine Heimat lag im südfranzösischen Aubusson. In diesem Zentrum der Schafzucht  hatte sich seit dem 15. Jahrhundert die Tapeten- und Wandteppichwirkerei etabliert. In einem äußerst mühsamen und zeitaufwändigen Verfahren entstanden hier Wandteppiche aus Wolle und Seide. Aubusson zählte ab 1665 zu den „manufactures royales“, war also einer der Lieferanten des französischen Königshauses, die in einer zentralistisch geführten Vereinigung der Handwerke und dekorativen Künste zusammengeschlossen waren.

Eine starke, reformierte Pfarrei hatte sich in Aubusson entwickelt, deren Angehörige im Zuge der immer größer werdenden konfessionellen Bedrängnis durch die Politik Ludwigs XIV. (1638–1715) teilweise ins Ausland flohen, eine Mehrzahl von ihnen jedoch erst nach der Aufhebung des Edikts von Nantes im Oktober des Jahres 1685. Unter ihnen waren viele der ältesten Wirkerfamilien, die sich auf den Weg in die Schweiz oder in deutsche Territorien machten. Ihre Ausgangsposition war insofern sehr gut, als im Zuge des Erstarkens des fürstlichen Absolutismus und der damit verbunden Prachtentfaltung auch an deutschen Höfen die Bildwirkerei einen neuen Aufschwung erlebte. Neben dem Schmuck von Wohn- und Festräumen erfüllten die Wandteppiche mit ihrer didaktischen Bildsprache zugleich praktische Aufgaben. Sie verbesserten die Akustik in den hohen Räumen und dienten der Wärmedämmung. Nachdem Bildteppiche zunächst in großer Zahl aus den Niederlanden, bzw. Frankreich importiert werden mussten, bot die Vertreibung der Wirker aus ihrer französischen Heimat nun die ökonomisch vorteilhafte Chance, mit Hilfe fürstlicher Zuschüsse und Vergünstigungen die Bildwirkerei in deutschen Territorien wieder heimisch zu machen. Die Hersteller der Textilien waren begehrte Fabrikanten. Ihre Kompetenz reichte dabei weit über die bloße Fertigung hinaus und umfasste Anbringen und Pflege der Wandbehänge, sowie Raumausstattung und Inneneinrichtung.

Auch der Markgraf von Brandenburg-Ansbach Johann Friedrich (1672–1686) nutzte die Gunst der Stunde. Schon am 7. Mai 1685 gestattete er Michel de Claravaux, sich unentgeltlich in seinem Jagdschlösschen zu Hennenbach niederzulassen und dort eine „manufacture de tapisseries“ (Wandteppichmanufaktur) einzurichten. Claravaux bekam umfassende Zusagen von Seiten des Markgrafen, der ihm neben der kostenlosen Nutzung von Wohn- und Atelierräumen, Weide- und Gartenflächen, Steuerfreiheit und ein unverzinsliches Darlehen garantierte. Bau und Aufstellung mechanischer Wirkstühle erfolgte auf Kosten des Markgrafen, die Anstellung weiterer Gobelinwirker im Fürstentum durfte nur mit der Zustimmung von Claravaux erfolgen. Im Gegenzug zur Monopolstellung von Claravaux behielt sich der Markgraf das Vorkaufsrecht zum niedrigsten Preis sowie die Eigentumsrechte an den Webstühlen vor. Neben ihm waren fränkische Fürsten- und Adelsgeschlechter die Abnehmer der Erzeugnisse und schmückten mit den Gobelins ihre Schlösser. Heute sind noch 26 Wirkteppiche aus Schwabacher Produktion bekannt, die u. a. im Ansbacher Schloss, in der Coburger Veste oder im Schloss Weikersheim hängen.

Einen Nachdruck eines der Wandteppiche von Claravaux können unsere Besucher*innen in Originalgröße in der Sonderausstellung bestaunen!

Neben dem beruflichen Erfolg spielte die religiöse Selbstbestimmung eine große Rolle bei den Hugenotten, die sich im Exil niederließen. Schon am 25. Dezember 1685 wurde in Hennenbach die erste, noch kleine französisch-reformierte Kirchengemeinde Frankens gegründet. Auch hier spielte Claravaux eine entscheidende Rolle und wurde als einer der anciens (Ältester) gewählt.

Nach dem plötzlichen Tod des Markgrafen zogen alle Hugenotten des Fürstentums Ansbach nach Schwabach. Hier richtete Claravaux im Juli 1686 im sog. Fürstenhaus (Königsplatz 25) mit der finanziellen Unterstützung von 300 Gulden seine Manufaktur ein. Im „kleinen Tapetenhaus“ bezog er mit seiner Familie Wohnung. Noch im selben Jahr begann hinter dem Oberamtshaus der Bau eines großen Gebäudes, das künftig als Wohnung und Werkstätte dienen sollte.

In der Folgezeit brachte Claravaux viele weitere Teppichwirker aus Aubusson nach Schwabach. Sein beruflicher Erfolg im Fränkischen, der auch Manufakturen in Berlin, Dresden und Wien zum Vorbild wurde, währte nicht lange: schon am 12. November 1688 wurde Claravaux in Regensburg beigesetzt. Nach seinem Tod führte seine Frau die Manufaktur weiter, jedoch wiederum nur für wenige Jahre, da sie am 13. Januar 1694 starb.

Langfristig reichte die Kapitalkraft der Luxusmanufaktur nicht aus, um den Wirkern ein Auskommen zu geben, auch weil die zeitaufwändige Herstellung der Wandteppiche eine teils jahrelange Vorfinanzierung von Materialien und Arbeitskraft erforderte. Von knapp 30 Familien, die 1696 in der Schwabacher Gobelinwirkerei beschäftigt waren, blieben 1716 nur noch sieben Familien übrig. Alle anderen waren weiter gezogen in Regionen mit lukrativeren Absatzmärkten oder lebten dank schlechter Auftragslage und Zahlungsmoral diverser Adelshäuser meist in großer wirtschaftlicher Not. Mitte des 18. Jahrhunderts endete die Ära der Teppichwirkerei in Schwabach.

 

Literatur:

Göppner, Theodor: Die Französische Kolonie in Schwabach, S. 298–322, in: Schlüpfinger, Heinrich (Hg.): 600 Jahre Stadt Schwabach – 1371–1971. Festschrift zur 600-Jahr-Feier, Schwabach 1971

Schlüpfinger, Heinrich: Schwabach. Zur Stadtgeschichte von 1648 bis zur Gegenwart, Schwabach 1986

Stadtarchiv Schwabach: Die Geschichte der Hugenotten und der reformierten Gemeinde in Schwabach, Ausstellungskataloge des Schwabacher Stadtarchives, Heft 1, Schwabach 1986