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Niemand kennt Maria Brätz! Frauen in der Regional- und Kulturgeschichte

Unser fünfter Beitrag der #freilandfürzuhause Themenwoche "Frankens Frauen", anlässlich der Blogparade #femaleheritage der Monacensia im Hildebrandhaus in München, ist dieser vierte Blogbeitrag. Dieser gibt einen kleinen Einblick in das Textilprojekt, welches aktuell in der Sammlung durchgeführt wird und durch welches viele Fragen und Frauen an die Oberfläche treten.

Langärmeliges weißes Hemd (Baumwolle und/oder Leinen, leinwandbindig) mit Weiß- und Perlenstickerei. Inv.-Nr. 20/580, Schenkung. Foto: Fränkisches Freilandmuseum

Detail: Die an der Kante gezackten Manschetten mit Knopfverschluss wurden per Hand mit einer Ziernaht mit Weißstickerei, blauen Glasperlen und goldfarbigen Metallperlen (Messing) bestickt. Inv.-Nr. 20/580, Schenkung. Foto: Fränkisches Freilandmuseum

Wie wäre es mit dem Schlagwort „Näherin“, „Weißnäherin“ in der Rubrik „Gewerke“? So lautete eine Frage, die bei der gerade anlaufenden Inventarisierung des Textilbestandes am Fränkischen Freilandmuseum in Bad Windsheim angesichts perfekt aufgeführter Weißnäherei auf textilen Objekten. Derartige Präzision muss professionell sein. Schon geraten die beteiligten Wissenschaftlerinnen ins Grübeln. Um weibliche Tätigkeitsfelder sichtbar zu machen, muss man sie benennen und verschlagworten. Da irritiert, dass die bisher angelegte Liste an Gewerken im Inventarprogramm stets die männliche Form der Handwerkstreibenden (z.B. „Schneider“) und nicht die geschlechtsneutrale Benennung des Gewerks oder der Tätigkeit ("Schneiderei"/"Schneidern") enthält. Wohin passt die Näherin? Offenbar gibt es da Nachholbedarf...

Viele Frauen haben in ländlichen Milieus im hauswirtschaftlichen und textilen Bereich professionell gearbeitet, sind aber – im Gegensatz zu städtischen Bediensteten – als Dienstleisterinnen und Gewerbetreibende selten „sichtbar“ präsentiert. Stellvertretend für diese vielen Frauen stellen wir die Näherin Maria Brätz vor. Ihre „Korsettkleider“ gelten heute – wie die vieler anderer „Nahterinnen“ – als „Trachten“. Sie bezeugen eine Sonderentwicklung in Sachen Kleidungs- und Bekleidungskultur bäuerlich geprägter Bevölkerungsteile in Franken. Besonders auffällig ist in Teilen Unterfrankens beispielsweise die Ärmelverzierung der Oberteile. Nach 1900 war bunte Zierstepperei modern. Jede Näherin hatte ihr eigenes Muster, ähnlich heutiger Labels oder Logos an Kleidungsstücken konnte so auf die Urheberin geschlossen werden.

 

Kurzbiographie

Maria Brätz (geb. 1876, gest. 1959), aus Eckartshausen bei Werneck (im Landkreis Schweinfurt)

  • Lehre: absolviert bei der Mutter
  • Familie: 1903 Heirat mit einem Steinhauer, bis 1905 Hausbau, 8 Kinder kommen zur Welt (drei davon versterben früh)
  • Arbeit: Wohnzimmer ist zugleich das Nähzimmer, dies ist ausgestattet mit Petroleum- und Karbidlampen, Tretnähmaschine, Holzkohlebügeleisen, ca. 50x30 cm großem Spiegel
  • Arbeitszeit: mit Unterbrechungen etwa von 7.00 Uhr bis 19.00 Uhr, im Sommer länger (Tageslicht wurde ausgenutzt); die zwei ältesten Töchter nähen später auch mit
  • Material: ausschließlich „Reservezeug“ vorrätig, der jüdische Händler Schloss (aus Obbach) kam bis zu seiner erzwungenen Auswanderung 1933/34 etwa alle 4 bis 6 Wochen mit der Pferdekutsche ins Dorf
  • Kunden: v.a. Bauersleute aus der Umgebung
  • Produkte: genäht werden insbesondere „Korsettkleider“, Blusen, Unterröcke, Männerhemden
  • weitere Dienstleistungen: Änderungen, Auslieferung der Ware (die Eltern liefern nur am Sonntag, werktags Großmutter und Enkelin mit Huckelkorb)

1933/34 gab Maria Brätz ihre Tätigkeit wegen mangelnder Nachfrage schließlich auf. Immer mehr der um und nach 1910 geborenen Frauen entschieden sich inzwischen dafür, Kleider oder Röcke und Blusen anzuziehen, statt Korsettkleider und Schürzen zu tragen. „Städtisch“ oder „baurisch“ zu „gehen“ war dabei eine grundsätzliche und dann lebenslang gültige Entscheidung, die jede Frau individuell für sich traf. Die Lebensumstände dieser Näherin konnten durch mündliche Schilderung der Tochter nachgezeichnet werden, um stellvertretend für unzählige Frauen diesen heute vergessenen Berufsstand zu dokumentieren und wieder ins Gedächtnis zu rufen. An dieser Stelle nochmals herzlichen Dank!

 

Zum Abschluss der Blogparade #femaleheritage der Monacensia im Hildebrandhaus in München zum Thema „Frauen und Erinnerungskultur“ beteiligt sich das Fränkische Freilandmuseum mit einer kompletten #freilandfürzuhause Themenwoche zu #FrankensFrauen in den Sozialen Medien. Die zugehörigen Beiträge werden in den Blogs auf der Website veröffentlicht. Wir laden Sie ein, unbekannte Frauen und ihre Rollen sowie Arbeiten oder Relikte in unserem Bestand (neu) zu entdecken, mit Stereotypen aufzuräumen und in fränkische Frauenpower einzutauchen. Viel Vergnügen!