Zum Hauptinhalt springen

Um die Masche gewickelt...

Beim Stricken denken wir meist an zwei bis fünf Nadeln. Aber was sagen Sie dazu, wenn das auch mit 286 Nadeln möglich ist?

Die Maschine ist groß. Sie hat einen Arbeitstisch. Dort hängt ein Teil einer Socke. Die Socke wird mit der Maschine hergestellt.

Die Strickmaschine ist auf einem Metallständer befestigt. Zwei Stangen dienen als Halterung für vier Fadeneinläufe. Je nach Muster und Anzahl der Farben wird der Faden auch rechts seitlich eingeführt. Zwischen den 286 Nadeln laufen die Strickprodukte nach unten. Industriestrickmaschine von der Firma Heinrich Stoll GmbH aus Reutlingen; Inv.nr. 22/499, seit 2022 im Freilandmuseum, Spende von Helga Ihra und Ulrich Reizammer. (Foto: Franziska Beck)

Ein kleiner Teil der Strickmaschine. Hier steht, wer die Maschine hergestellt hat. Es war die Firma Stoll in Reutlingen.

Auf dem Nadelbett eingeschlagen: Links der Hersteller: „H. Stoll & Co Reutlingen“, rechts (nicht zu sehen) die Angabe zur Feinheit (Nadelbreite): ca. 60 cm Nadelbreite mit der Feinheit E6 und die Nr. „28435“. (Foto: Franziska Beck)

Der Arbeitsbereich der Strickmaschine. Er hat drei Griffe. Und hängt eine Socke heraus. Sie ist fast fertig.

Blick auf die Technik: Eine Masche entsteht durch das Verschieben des sogenannten „Schlittens“, der über dem Nadelbett befestigt ist. Zwischen den 286 Nadeln ist eine Öffnung, durch die die Strickprodukte nach unten laufen. (Foto: Franziska Beck)

Das Bild zeigt eine Frau mit dunklen Haaren. Sie steht seitlich zur Kamera. Sie trägt einen Pullover und eine Kette.

Babette "Betti" Reizammer, 1950er Jahre. (Foto: Privatbestand Helga und Ulrich Reizammer)

Auf dem Bild steht ein Mädchen. Es trägt ein Kleid mit Punktmuster.

Tochter Elfriede im selbstgestrickten Kleid, um 1960. (Foto: Privatbestand Helga Ihra, Ulrich Reizammer)

Stricken ist eine alte Handarbeitstechnik, mittels der durch Verschlingung des Fadens mit sich selbst auf einer Stricknadel ein Maschengebilde entsteht. Vermutlich gelangte sie aus den östlichen Regionen über Spanien und Italien nach Europa. Die frühesten sicher nachweisbaren Objekte datieren in das 12. und 13. Jahrhundert.

Professionelle Stricker:innen fertigten neben Strümpfen auch andere Strickwaren oder strickten für Vertragshändler. Wie in anderen Handwerksberufen waren die Ausführenden in Zünften organisiert. Seit Erfindung der Strumpfstrickmaschine am Ende des 16. Jahrhunderts entwickelte sich aus dem Handwerk ein Industriezweig. Das Stricken als Handarbeit im Rahmen häuslicher Tätigkeiten hingegen wurde noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Frauen und Mädchen als selbstverständlich erwartet.   

In den 1860er Jahren begann die industrielle Fertigung von Strickmaschinen. In Deutschland baute die „Strickmaschinenfabrik Heinrich Stoll“ in Reutlingen Strickmaschinen, die sie stetig weiterentwickelte. Das Unternehmen ist Inhaber vieler Patente und hat durch seine technischen Innovationen die Strickwarenindustrie nachhaltig verändert. Aus der „Strickmaschinenfabrik Heinrich Stoll“ ging die heutige „H. Stoll AG & Co. KG“ hervor. Sie besitzt Tochterunternehmen in den Vereinigten Staaten, Frankreich, Italien, Japan, China und Indien.

Grundsätzlich gibt es Flach- und Rundstrickmaschinen, mit denen Kleidungsstücke verschiedener Art gefertigt werden. Seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sind vollautomatische Strickmaschinen im Einsatz. Heute arbeiten sie computergesteuert.

Unsere Industriestrickmaschine von der „Strickmaschinenfabrik Heinrich Stoll“ wurde Teil des Alltags von Babette „Betti“ Reizammer (geb. Bernreuther, *20. März 1931, † 07. August 2020). Sie strickte etwa seit 1953 auf dieser Flachstrickmaschine, die sie von ihrem Vater geschenkt bekam, wie uns ihre Kinder bei der Übergabe ins Museum berichteten: Ihr Vater kaufte sie von „Wilhelm Kett, Mechanische Strickerei“ in Fürth bei Nürnberg. Das Unternehmen produzierte Berufs- und Sportkleidung sowie andere Textilien. Anfang der 1950er Jahre stand sie kurz vor der Insolvenz. Betti Reizammer hatte dort ihre Ausbildung zur Maschinenstrickerin absolviert und das Stricken auf dieser Maschine gelernt. 1953 schied sie auf eigenen Wunsch aus. 

Familie Reizammer betrieb einen kleinen Milchbauernhof und Betti verkaufte Pullover, Jacken, Socken, Mützen, Röcke und Kleider, die sie neben den alltäglichen Haus- und Hofarbeiten mit ihrer Maschine herstellte. Bestellungen nahm sie immer sonntags nach der Kirche von Menschen aus Neustadt a. d. Aisch, dem Landkreis Fürth und aus Erlangen-Höchstadt auf. Zur Oster- und Weihnachtszeit erhielt sie die meisten Bestellungen. Bald führte sie ein Buch, um den Überblick zu behalten. Später halfen ihre Kinder bei der Auslieferung der Ware – was sie noch freudig in Erinnerung haben, da es damals als besonders galt, in die Stadt zu fahren. Betti Reizammer arbeitete bis etwa 2016 auf dieser Maschine. Noch heute tragen die Kinder die gestrickten Socken ihrer Mutter und kennen genau das Geräusch der Maschine, wenn ihre Mutter darauf strickte.