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Von St. Martin zum Pelzmärtel

Laternenumzug im Fränkischen Freilandmuseum 2019

Martinsgänse unterwegs im Fränkischen Freilandmuseum

Nikolaus übergibt einem Kind ein Geschenk, nach 1950, Konvolut Adam Menth

Pelzmärtel besucht die Kinder im Kindergarten, 2009, Privatbesitz

Am 11. November wird nach altkirchlichem Brauch der Tag des Heiligen Martin gefeiert. Martin war Bischof von Tours, er starb im Jahr 397 und wurde bald im Frankenreich besonders verehrt. In der kirchlichen Kunst wird er gern dargestellt, wie er – noch in seiner Zeit als Soldat – seinen Mantel zerteilt, um einem frierenden Bettler zu helfen. Gefeiert wurde der Heilige unter anderem durch Lichterprozessionen, ein Brauch, der sich im letzten Jahrhundert weithin verbreitet hat und den wir als Lampionzug der Kindergartenkinder inzwischen auch in fränkischen Städten miterleben können.

Vielen fällt beim Stichwort Martinstag allerdings zuerst die „Martinsgans“ ein.  Warum  Schlachtung und Verzehr des Federviehs mit Sankt Martin  verbunden werden, erklären verschiedene phantasievolle Legenden über das Leben des Heiligen. Der wahre Grund besteht wohl darin, dass sein Tag auch den Schluss des bäuerlichen Arbeitsjahres markierte, an dem gewisse Zinsleistungen an die Grundherren fällig waren, so eben auch die Lieferung einer Gans. Da anschließend die 40tägige Fastenzeit vor Weihnachten begann, war der Tag auch für den Verzehr eines guten Bratens gerade recht.

In allen evangelischen Familien in Franken war bis vor wenigen Jahrzehnten der 11. November aber ganz eindeutig der Tag des Pelzmärtels. Was steckte dahinter und wie kam es dazu?

Erkennbar ist der Pelzmärtel-Brauch ein Gegenstück zu den Kinderbräuchen um den Heiligen Nikolaus. Dieser Heilige kam, so machte man die Kleinen glauben, zu ihnen, um ihre Frömmigkeit und Lernwilligkeit zu prüfen und sie dafür mit Geschenken zu belohnen, – oder nötigenfalls auch zu bestrafen. Dafür hatte er oft eine mysteriöse finstere Gestalt an seiner Seite, die regional unterschiedlich, z. B. Knecht Ruprecht oder Krampus, heißt und in Aussehen und Verhalten Nähe zu den gefürchteten Dämonen des Volksglaubens zeigte, die, wie man glaubte, in bestimmten Winternächten den Frieden der Dörfer bedrohten bzw. von  jungen Männern dargestellt, Schrecken verbreiteten und Gaben heischten.

Nachdem Martin Luther den Nikolaus als Teil des Heiligenkultes aus den Häusern seine Anhänger verbannt hatte, bürgerte sich bei ihnen eine Ersatzgestalt ein, der man die Aufgaben des Examinierens und Belohnens oder Bestrafens der Kinder übertrug.  Diese kam am Tag des nicht mehr weiter verehrten Hl. Martin (Märtel), hatte die Rute zum Strafen („pelzen“ = schlagen) bei sich und hieß daher Pelzmärtel (Pelzermärtl, Bulzermartl, Butzenmärtel oder ähnlich, in Altmühlfranken auch Rollermärtel).

Gewöhnlich trug er einen langen Bart, war oft schwarz im Gesicht und auch sonst furchterregend ausstaffiert, mit langem dunklen Mantel, bisweilen einer rasselnden Kette und natürlich einem Sack, der zwar die guten Gaben, wie Äpfel und Nüsse enthielt (daher auch „Nussmärtel“), aber auch geeignet schien, böse Kinder hineinzustecken und mitzunehmen.

Auch wenn der Pelzmärtel vor Kindergartenkindern nach Nikolausart insgesamt milde tadelnd und gütig auftreten durfte oder noch darf, überwog bei ihm insgesamt das Furchterregende, was sich auch in Veränderungen des Brauchs in den späteren Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zeigte. So traten in einigen Dörfern Frankens Jugendliche in Pelzmärtel-Verkleidung auf, die nicht auf Bestellung die Familien mit Kindern besuchten, sondern sich mit anderen Jugendlichen wilde Verfolgungsjagden lieferten. Die lichte Seite des Heiligen Nikolaus, seine Rolle als Segen und reiche Gaben spendender Gesandter Gottes, ging bei den evangelischen Christen auf das Christkind über. Sein Bild überstrahlte auch bei den Katholiken bald die populären Heiligen Martin und Nikolaus.

 

 

Literatur: Alfred Kriegelstein: Jahreslauf. Brauchtum in Mittelfranken, Bad Windsheim 1986

Walter Hartinger: Religion und Brauch, Darmstadt 1992