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Wanted: Salamon, Löw und Benjamin Abraham Allersheim

Die „Diebs- und Gaunerlisten“ waren übersichtlich, machten Informationen zugänglich und ließen sich gut verbreiten. Sie ermöglichten so auch eine überregionale Zusammenarbeit von Ämtern (Foto: Bayerische Staatsbibliothek München)

Bei den Forschungen über die ehemalige jüdische Gemeinde Allersheim stößt das Museum gelegentlich auf ungewöhnliche Quellen, die genauer betrachtet werden müssen. In diese Kategorie fällt eine Druckschrift von 1759 aus Mannheim, verfasst durch den Kriminalbeamten Johann Ludwig Stockmar (siehe Foto), in der die drei Juden Salamon Allersheim, Löw Allersheim und Benjamin Abraham Allersheim ausführlich beschrieben sind (Auszüge siehe unten).

Dabei handelt es sich dem Titel nach (Quellenangabe siehe unten) um eine „Urgicht“, das meint die Wiederholung beziehungsweise Bestätigung eines Geständnisses, das zunächst unter Folter erwirkt wurde. Zusätzlich wird die vorliegende „Urgicht“ noch ergänzt um eine Sammlung von Beschreibungen von „…deren zahlreichen, […], herum vagierenden, dem Publico höchst-schädlicher jüdischen Räuber, Diebe und Mörderen.“

Jüdische Räuber, Diebe und Mörder? Was zuerst nach einer antijüdischen Denunziation klingt, ist mehr einer Quellengruppe der neuzeitlichen Strafjustiz zuzuordnen: den sogenannten Diebs- und Gaunerlisten. Diese wurden im 18. Jahrhundert zur Strafverfolgung von Personen aus der nicht-sesshaften Bevölkerung, darunter z. B. Sinti und Roma, christliche oder jüdische Menschen, und zum organisierten Vorgehen gegen dieselbe erstellt und eingesetzt. Damals war bereits die nicht-sesshafte Lebensweise verdächtig und wurde verfolgt.

Solche Listen entstanden auf Grundlage von Aussagen von Angeklagten, die während eines Strafverfahrens auch zu ihren Familien, Kameraden und vermeintlichen Komplizen befragt wurden. Die Personenbeschreibungen wurden im Nachgang herausgegriffen und in Form von Listen, den genannten Diebs- und Gaunerlisten, veröffentlicht (von Beamten für Beamte).

Die darin enthaltenen Informationen reichten von begangenen Delikten über das Aussehen und besondere körperliche Merkmale hin zu Beruf, Beziehungen und vielem mehr. Aber was sagen die Listen tatsächlich über die dargestellten Personen aus? Salamon, Löw und Benjamin Abraham Allersheim, hier offenbar nach ihrer Herkunft benannt, werden zum Beispiel als Diebe, darüber hinaus als Mitglieder und zuweilen sogar als Anführer von „Diebs-Banden“ geführt.

Nach Blauert und Wiebel darf man sich unter „Banden“ im 18. Jahrhundert aber keine Bandenkriminalität im heutigen Sinn vorstellen. Die meisten der erfassten Personen sind weniger als Teil einer organisierten Kriminalität denn als Teil der damaligen Armutsgesellschaft zu sehen, die einzeln oder als lose Gruppe Kleinst- und Armutsdelikte – unterschiedlicher Schwere – begingen.

Die Darstellung von Salamon, Löw und Benjamin Abraham Allersheim als Bandenmitglieder oder Bandenoberhäupter ist daher irreführend. Vermutlich gehörten sie wie der Großteil der im 18. Jahrhundert registrierten Personen der nicht-sesshaften und zugleich ärmeren Gesellschaft an und schlossen sich zeitweilig mit anderen Personen desselben Milieus zusammen.

 

 „Salamon Allersheim (geb. vor 1719), des Löw Allersheim Bruder, erlich 40 Jahr alt, kurz dicker Statur, und von dickem runden Angesicht, hat kurze etwas grause schwartze Haar, traget ein kleines Bärtgen, und ist verheurathet, hat auch 2. Kinder, und pfleget zu weilen zum Schein am Ober-Rhein herum mit Schnallen, Hembder-Knöpf, und dergleichen kurtzen Waaren zu handlen. Sonsten ist derselbe gleich seinem Bruder ein Ertz-Racht-Dieb, und Schräncker, pfleget auch von einigen Jahren eine jüdische Diebs-Bande als ihr Haubt anzuführen, welche Stelle eines Diebs-Anführers derselbe bey dem gewaltsamen Diebstahl auf der Aspacher Hütte, und sonsten bereits vertretten, auch denen Einbrüchen zu Blindheim, Ippesheim, Altenhaussen, und an mehr anderen Orten beygewohnet hat.“ S. 89

Löw Allersheim (geb. 1729), sonsten auch unter der Diebs-Bande der Dull genannt, ist von Allersheim gebürtig, ohngefehr 30 Jahr alt, mittlerer Leibs-Statur, hat schwarzes Haar, und traget keinen Bart, ist von blattermäsig langlechten Angesicht, und gehet am rechten Fuß ein wenig lahm, ist verheuratheten Stands, und einer deren grösten Dieben in des Heil. Römischen Reichs Landen, deren Banden er schon öfters angeführet, auch bey denen in seiner Gegenwart unternohmen werdenden gewaltsamen Einbrüchen und Beraubungen die Leuthe jedesmahlen grausam und bis auf den Todt mit Binden, Schlagen, Brennen, Tretten, und anderer Gewaldthätigkeit zu tractiren pfleget. Dieser Erz-Bößwicht hat nebst vielen anderen auch die Diebstähle zu Blindheim, Ippesheim, Altenhaussen, Leymen, Rohrbach, und sonsten mit begehen helffen. Dessen Weib hat sich lang auf der Franckfurter Juden-Schlafstatt augehalten, desselben Schwester aber solle bey sicherem Juden Jecoph zu gedachtem Franckfurt dienen.“ S. 74-75

Benjamin Abraham (geb. 1729/30), sonsten Benjamin Allersheim von seinem Geburts-Ort also genannt, ohngefehr 29. bis 30. Jahr alt, ein grosser langer Kerl, von breiten Schulteren und rothen glatten Angesicht, traget zuweilen eine Peruque, zu Zeiten sein eigenes Haar, so schwarz und klein abgestutzt, lasset aber keinen Bart wachsen, ist verheurathet, und solle sich dessen Weib in der Obern-Pfalz aufhalten, er Benjamin Allersheim auch schon einmahl die Tortur in Westphalen ausgestanden haben. Dieser jüdische Dieb hat zu Bewährung der Complicitaet des in Januario 1757 zu Leimen bey dem Lutherischen Pfarrern ausgeübten Diebstahls seinen annoch apud acta aufbehaltenen Paß in loco delicti verlohren.“ S. 53-54

 

Quelle:

Urgicht, Oder die von der in der Chur-Pfältzischen Residentz-Stadt Mannheim gefänglich eingebrachten Famosen Jüdischen Diebs- und Rauber-Bande, ... mit zugleich angeführter neuerlicher Beschreibung deren zahlreichen, annoch in des Heil. Röm. Reichs-Landen herum vagirenden, dem Publico höchst-schädlicher Jüdischen Räuber, Dieben und Mörderen. Verfast durch Causae Commissarium Chur-Pfaltz Rathen und Criminal-Referendarium Johann Ludwig Stockmar, Mannheim 1749.

Standort: Bayerische Staatsbibliothek München, Sign.: 2 J.germ. 174,860.

URL: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10490970?page=,1

 

Literatur:

Andreas Blauert/Eva Wiebel: Gauner- und Diebslisten. Registrieren, Identifizieren und Fahnden im 18. Jahrhundert (= Studien zu Policey und Policeywissenschaft). Frankfurt am Main 2001.