Wo die Teller eine Fahne haben...
Nicht nur die enorme Vielzahl der keramischen Marken und deren Entschlüsselung ist, wie im letzten Beitrag beschrieben, zunächst eine große Herausforderung für jeden, der beginnt, tiefer in die keramische Materie einzusteigen. Auch die keramische Fachsprache birgt manch Überraschendes: Es gilt hier zwar – zum Glück – weniger, sich ‚Fach-Chinesisch‘ bzw. lateinische oder griechische Fremdwörter anzueignen, doch einige aus dem Alltag wohlbekannte Begriffe erscheinen in gänzlich neuem Kontext.
So handelt es sich bei „einem Teller mit Fahne“ freilich weder um einen Teller mit gehisster Flagge noch um ‚beschwipstes Geschirr‘. Gemeint ist damit in der Sprache der Keramiker vielmehr ein Teller mit einer ausgeprägten und nach innen klar abgegrenzten mehr oder weniger breiten Randzone. Das von der Fahne umschlossene Innere des Tellers wiederum ist dann der sogenannte „Spiegel“. Mitunter ist die Fahne eines Tellers (oder auch einer Schüssel) durch ein farbiges Dekor besonders betont. Denselben Effekt erzielt auch eine mögliche Reliefierung der Fahne, also eine Gestaltung durch plastisch hervorgehobene Strukturen bzw. Muster.
Der Teller in Abb. 2 gibt zudem ein schönes Beispiel für die erfolgreiche Entschlüsselung einer keramischen Marke. Auf seinem Boden lässt sich farblos eingeprägt, also als Blindstempel, in einem Kreis der lateinische Buchstabe „F“ begleitet von der Zahl „57“ entdecken. Aufgrund der einfachen Buchstaben-Zahlen-Kombination stellte sich zunächst die Frage, ob es sich hierbei überhaupt um eine Herstellermarke handelt, oder einfach nur um eine Größen- oder Formnummer, wie sie auch oft auf Geschirr zu finden ist?
Eine erste Recherche in einschlägigen Handbüchern ergab jedoch, dass Porzellan aus der 1865–1926 existierenden Porzellanfabrik „Von Römer & Foedisch“ im sächsischen Fraureuth mit einer Herstellermarke, die ein „F“ im Kreis zeigt, gekennzeichnet wurde. Allerdings fehlten in den Nachschlagewerken Angaben zur exakten Datierung dieser als Blindstempel ausgeführten Variante der Marke. Hier half dann eine Mailanfrage an den Porzellanverein Fraureuth weiter, die sehr freundlich beantwortet wurde: Nicht nur kann die Verwendung ebendieser Marke auf den Zeitraum 1866–1896 eingegrenzt werden, der Teller lässt sich sogar noch genauer der Serie „Rococo“ von 1890 zuordnen. Die Zahl unter dem „F“ steht in der Marke übrigens vermutlich jeweils für eine bestimmte Gefäßform. So hat ein anfangs recht ‚anonym‘ scheinender weißer Teller nun schon einiges mehr über sich preisgegeben…
Quellen/Literatur | Werner Endres: Gefäße und Formen. Eine Typologie für Museen und Sammlungen (Museums-Bausteine, Bd. 3). München 1996, S. 20. | Emanuel Poche: Porzellanmarken aus aller Welt. Überblickskatalog zur schnellen Zuordnung von Tassen, Tellern, Geschirr und Porzellan aller Art. Regenstauf 2019 [19. Auflage], S. 108. | Robert E. Röntgen: Deutsche Porzellanmarken von 1710 bis zur Gegenwart. Regenstauf 2021 [7. Auflage], S. 73. | Ein herzlicher Dank für die freundliche Auskunft per Mail am 25.02.2024 geht an Frau Zieger und Frau Böhme vom Porzellanverein Fraureuth.