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Bauernhaus aus Reichersdorf

Altmühlfranken

Das Bauernhaus aus Reichersdorf fällt bereits durch seine Größe auf: 358 Quadratmeter Dachfläche überspannen ein Gebäude mit 22 x 15 Metern Grundfläche. Es 1697 mit einem kräftigen Dachstuhl errichtet, der eine Kalksteinplatten-Dachdeckung mit einem Gewicht von 70 Tonnen tragen muss. Der Stallanbau beeindruckt mit einem »böhmischen« Kappengewölbe.


Eckdaten

Hausnummer:84
Ursprung:Reichersdorf, Gemeinde Thalmässing, Landkreis Roth
Bauepoche:1697 (Jahrringdatierung), Erweiterung 1875, Umbau 1923 (Inschrift)
Ausstellung:weitgehend nach Umbau von 1923
Konstruktionsmethode:Eingeschossiger Massivbau, Satteldach mit Kalkplattendeckung
Abbau:1992
Aufbau:2009-2012
Baugruppe: Altmühlfranken
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Besonderheiten

Prunk für Ross und Rind – Stallgewölbe im Bauernhaus

Das prachtvolle Gewölbe im Bauernhaus aus Reichersdorf mag man mehr mit einem kirchlichen Raum in Verbindung bringen und weniger mit einem profanen Stall. Warum nur wurde für das Nutzvieh ein solcher Aufwand betrieben? Zum einen sicherlich aus repräsentativen Gründen, zum andern aber auch, weil (steinernen) Gewölben angesichts des aggressiven Stalldunstes eine längere Lebensdauer beschieden war als hölzernen Stalldecken, die zudem eine erhebliche Brandgefahr bilden konnten. Die Stallgewölbe in den Bauernhäusern aus Reichersdorf und Seubersdorf gestalten sich besonders prächtig: »Böhmische Gewölbe« nennt man diese in fränkischen Bauernhäusern etwa zwischen 1850 und 1880 nachweisbare Konstruktion, wobei die Bedeutung dieses Begriffes bis heute unklar ist; vielleicht haben böhmische Maurer diese Konstruktionsweise nach Bayern importiert. Das Gewölbe wurde ohne Schalung (Lehrgerüst) von unten frei gemauert, was auch einen nachträglichen Einbau leichter ermöglicht.

 

Älter als die Böhmischen Gewölbe sind Kreuz- und Tonnengewölbe in den fränkischen Stallungen, die vielfach bereits im 18. Jahrhundert entstanden, davon zeugt im Museum der Stall aus Gungolding von 1736. Ebenfalls im 18. Jahrhundert tauchen erstmals in den Stallungen die sog. Kappengewölbe auf, das sind zwischen Balken eingespannte flache und schmale Gewölbefelder. Ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts haben die »Preußischen Kappen« Hochkonjunktur, bei denen die schmalen Gewölbe nicht mehr von Holzbalken getragen werden, sondern von Eisenträgern.


Beschreibung

500-jährige Haus- und Baugeschichte

Die Geschichte des Reichersdorfer Hofes kann vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart nahezu lückenlos nachvollzogen werden. Bei dem 1497/98 von einem Fritz Kandler erbauten Haus, das dieser mit Frau und zwei Kindern bewohnte, handelte es sich um ein Fachwerkgebäude, das wohl im Dreißigjährigen Krieg weitestgehend zerstört wurde. Von 1550 bis zum Dreißigjährigen Krieg befand sich der Hof im Besitz der Familie Zucker, deshalb auch der einst gebräuchliche Hofname »Zuckerhof«. Der dann 1697 mit Kalkbruchsteinen errichtete Neubau integrierte die wenigen verbliebenen Reste des hölzerneren Vorgängerbaus in die Wand zwischen Küche und Stube. Betrachtet man die Größe der genutzten Weide- und Wiesenflächen, handelte es sich um den einst größten Hof in Reichersdorf, zu dem um 1700 eine Scheune und weitere Nebengebäude gehörten. 1820 ging der Hof an Georg Adam Hussendörfer über, von dem sich der bis heute gebräuchliche Hofname »Beim Gerchadel« ableitet. Sein Urenkel Georg Hussendörfer veranlasste 1923 den letzten Umbau des Hauses, festgehalten mit Name und Jahreszahl auf dem Türsturz.

 

Tonnenschweres Dach

Auch das Reichersdorfer Haus wird – wie alle Jurahäuser – maßgeblich geprägt durch sein flach geneigtes und kalkplattengedecktes Dach. Etwa 70 Tonnen schwer ist die steinerne Dachhaut dieses Gebäudes. Der Dachstuhl mit den Pfetten (Längshölzer), Säulen und Rofen (auf denen die Dachschalung liegt) ist dementsprechend großzügig dimensioniert und noch weitgehend im originalen Zustand erhalten.

 

Böhmische Gewölbe

Ebenso bemerkenswert ist der 1875 angebaute Stall – ein Ergebnis der damals überall im Königreich Bayern stark zunehmenden Viehhaltung. Der Reichersdorfer Stall weist ein beeindruckendes »Böhmisches Gewölbe« auf, das auf acht schlanken Kalksteinsäulen ruht und sich aus 14.000 Backsteinen zusammensetzt – eine luxuriöse Unterkunft für Tiere! Vom Dachraum aus ist ein Blick von oben auf die Gewölbekonstruktion möglich. Dort erkennt man den Stallanbau auch deutlich an den zusätzlich aufgelegten Dachhölzern (Rofen), die das Dach des Wohnhauses fortsetzen und dadurch zu einer großen, gemeinsamen Dachfläche vereinen.

 

Farbiges Innenleben

Im Innern des Hauses beeindruckt die Vielfalt der Farbgestaltung: Vor allem in der Stube belegen zahlreiche Putz- und Farbschichten aus drei Jahrhunderten eine allzeit rege Gestaltungsfreude. Zwischen 1500 und 1700 wurde dort eine Nische angelegt, die sich auf der rechten Seite der Stubentür wiederholt und ausschließlich der Dekoration diente. Sie erhielt zunächst einen auffälligen, mit Holzkohlestückchen (!) versehenen Putz, der im Laufe des 18. Jahrhunderts mit grauen Wandfarben sowie einem Blumen- und Zweigdekor überdeckt wurde, bevor man die Nische schließlich verputzte. In der Stube, aber auch im Flur ist ein zweigförmiges Walzendekor auf beiger Grundierung zu sehen, das in den 1920er Jahren entstand. Farbenfrohe Schablonenmuster aus dem frühen 20. Jahrhundert zieren die Schlafkammern im Dachgeschoss.

 

Im Museum

1983 wurde das Wohnhaus aufgegeben, 1992 erfolgte der Abbau durch das Freilandmuseum. Doch dann dauerte es weitere 17 Jahre, ehe der Wiederaufbau im Museum – maßgeblich finanziert durch den Förderverein Fränkisches Freilandmuseum e. V. – in Angriff genommen werden konnte. Das Gebäude und seine Einrichtung zeigen den Zeitschnitt des frühen 20. Jahrhunderts. Eine kleine Ausstellung im Erdgeschoss spiegelt die lange Bewohnergeschichte des Hofes: Vom Zeitpunkt des Neubaus 1697 sind auf insgesamt 68 Bannern sämtliche im Haus geborene und aufgewachsene Familienmitglieder erfasst. Im Dachraum des Reichersdorfer Jurahauses stellt eine Kunstinstallation von Jochen Lebert (geb. 1938) die »Schatzhäuser« in den Mittelpunkt – Hausmodelle aus Solnhofer Kalk und Schwabacher Blattgold.

 

Ein sagenhafter Geheimgang?

Mündliche Überlieferungen berichten oft von geheimen unterirdischen Gängen, die kilometerweit zu Burgen oder Kirchen geführt haben sollen. In aller Regel lassen sich solche Geschichten nicht bestätigen – anders jedoch beim Haus aus Reichersdorf. Bei einer Ausgrabung vor Ort fand man tatsächlich einen engen Gang (1 m breit, 1,70 m hoch), der von der Vorratskammer neben der Küche wenige Meter bis zu einem benachbarten Kirchlein – als Zufluchtsort in kriegerischen Zeiten – führte und im Freilandmuseum nur sehr verkürzt dargestellt werden konnte. Bei den Grabungen tauchten mehrere Funde auf, die sich ins frühe 16. Jahrhundert datieren lassen: ein grob geschmiedetes Hiebschwert (Bauernwehr), eine Lanzenspitze für die Wildschweinjagd (Saufeder) sowie ein Schwertknauf, die hier als Repliken zu sehen sind, zusammen mit originalen Keramikscherben. Bei den Funden handelt es sich womöglich um Waffen aus dem Bauernkrieg (1524/25), der auch in der Reichersdorfer Gegend wütete.


Bilder


Bilder vom Ursprung


Summary (English)

The farmhouse from Reichersdorf already stands out due to its size: 358 m² of roof bestride a building with a floor area of 22 x 15 meters – a perfect example of rural building in the Altmühl area. Individual woods on the ground floor as well as rests of an underground aisle are proof of a medieval predecessor. The current building was erected in 1697 with a strong truss that has to carry the flags of chalkstone for the roof, weighing around 70 tons. In 1875 the western extension of the stable with an impressive „bohemian“ surbased barrel vault of around 14.000 bricks was added.


Zugänglichkeit

Insgesamt:Note: 1
Ergeschoss ist Barrierefrei:ja
  • Eingangsbreite: 79/119 cm (zweiflüglich)
  • Eingangsschwelle: 2 Steinstufen (Rampen vorhanden)
  • Eingang Stall: Breite 109 cm, niedrige Schwelle
  • Stubeneingang: Breite 85 cm, Schwelle mit 23 cm (Rampe vorhanden)
  • Kücheneingang: Breite 82 cm, Schwelle mit 8 cm
  • Ausstellungsraum/Kammer: Breite 85 cm, Schwelle 20 cm
  • Obergeschoss nur über Holztreppe mit 14 Stufen zu erreichen
Fotoaufnahme des Haupteingangs vom Bauernhaus aus Reichersdorf. Zur Tür führen zwei Steinstufen, über diese wurde eine Rampe aus Holz gelegt. Der Boden des Hofs ist gepflastert, der des Hauses gefliest.
Fotoaufnahme des Eingangs zum Stall aus Reichersdorf am aktuellen Standort. Die Holztür ist um 180° nach außen geöffnet. Hof- und Stallboden sind beide gepflastert, allerding mit unterschiedlichen Pflastersteinen.

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