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Biographien

Karl Ludwig Spier

Wie viel Leid mancher Mensch in seinem Leben ertragen muss zeigt sich exemplarisch an der Lebensgeschichte von Karl Ludwig Spier. Geboren wurde er am 15.12.1900 als Sohn von Rudolf und Emma Spier (Wannfried) in Köln. Er war der Enkel der gebürtigen Allersheimerin Karoline Wannfried (Adler). Über seine Kindheit und Jugend in Köln ist nichts bekannt.

1921 lernte Karl Ludwig seine spätere Frau Hilde Wolff kennen. Auf den ersten Blick war es um den jungen Mann geschehen und auch ihr erging es genauso als sich beide beim Tanzkurs begegneten. Doch die Verbindung stand unter keinem guten Stern. Hilde stammte aus wohlhabendem Hause und für ihren Vater kam es nicht in Frage, dass sie sich mit einem Mann einließ, der sich gerade erst im Studium befand. Sieben lange Jahre gingen ins Land, in denen die Liebe des jungen Paares Bestand hatte, doch Hildes Vater blieb hart. Irgendwann war die junge Frau so verzweifelt darüber, dass sie beschloss sich das Leben zu nehmen. Zum Glück konnte man sie noch retten, nachdem sie sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Erst jetzt gab ihr Vater seinen Widerstand auf und ließ das Paar gewähren.

Um seiner Frau und den zwei Kindern Marianne und Rolf ein gutes Leben bieten zu können, nahm Karl Ludwig Spier eine Stelle in Erfurt an, wo ihm die Leitung der Schuhfabrik Lingel angeboten worden war. Um ihn zu begleiten gab Hilde ihre wichtige Stellung bei der Kölner Zeitung auf und widmete sich fortan ihrem Mann und den Kindern. In Erfurt arbeitete Karl Ludwig schwer, seine Kinder bekamen ihn nur selten zu Gesicht und im Haushalt war Hilde auf sich alleine gestellt. Die Familie bewohnte eine Etage eines großen Fachwerkhauses mit stattlichem Garten, an dem sich ein Bach entlangschlängelte. Bevorzugt hielt man sich auf der großen Terrasse auf. Die Familie war nicht besonders religiös, Feiertage dienten in der Regel eher als Anlässe für Familienfeste. Immerhin bestand eine enge Freundschaft zu drei weiteren jüdischen Familien aus Erfurt. Als die Situation in Deutschland für jüdische Menschen immer aussichtsloser wurde, entschlossen diese sich zur Emigration. Zwei Familien wanderten nach Großbritannien aus, eine nach Palästina. Hilde Spier jedoch hatte andere Pläne. Ihr Bruder wohnte bereits in Belgien und so entschloss sich die Familie, sich ihm anzuschließen und ebenfalls die Ausreise zu wagen. Ein folgenschwerer Fehler, wie sich bald herausstellen sollte.

Am 19.11.1935 kamen die Spiers in Belgien an. Ihre Möbel hatten sie mit sich bringen können. In Brüssel fand Karl Ludwig Arbeit als Berater für Wirtschafts- und Organisationsfragen. Die Familie erhielt viel Besuch, wohl vor allem von anderen deutschen Flüchtlingen und Karl Ludwig begann aus Trotz jüdische Rituale zu praktizieren. 1939 erfolgte ein Umzug in ein Haus an der Chaussée de Waterloo. Dort wäre die gesamte Familie bei der Explosion eines Gasofens beinahe ums Leben gekommen. Doch Belgien erwies sich als schlechte Wahl. Am 10. Mai 1940 bombardierten deutsche Truppen Brüssel. In Panik stellten die Spiers fest, dass der Strom ausgefallen war, hektisch suchte man nach Kerzen. Bereits am nächsten Morgen begann Hilde verzweifelt Freunde und Freundinnen um Rat zu fragen. Später am Tag wurde ihr Mann verhaftet. Von der belgischen Polizei. Als Deutscher galt er grundsätzlich als verdächtig, schließlich befand sich Belgien offiziell im Krieg mit dem Land. Als kurz darauf eine Postkarte die Familie erreichte, bemühte sich Karl Ludwig Spier um einen beruhigenden Ton. Er wisse nicht was die Belgier planten, vermutlich würden sie ihn aber nach Frankreich ausweisen.

In der Tat wurde Karl Ludwig Spier noch im selben Monat in das Lager St. Cyprien in Südfrankreich gebracht. Mit dem letzten Hab und Gut reist seine Familie nach Frankreich nach und wurde zunächst in Gurs interniert. Schließlich gelang es aber doch, nach St. Cyprien zu gelangen. Hilde musste täglich einen Passierschein erwirken um sich in der sengenden Sonne mit ihrem Mann und ihrem Bruder, den das gleiche Schicksal ereilt hatte, unterhalten zu können. Manchmal gelang es Karl Ludwig, eine Erlaubnis zu erhalten, um tagsüber das von senegalesischen Soldaten bewachte und von Stacheldraht umzäunte Lager zu verlassen und in seltenen Fällen sogar über Nacht in der Hütte im Dorf zu bleiben, in dem seine Familie zu dritt in einem Bett schlief. Mit Glück überlebte die Familie eine Flutkatastrophe, als Einheimische sie davor bewahren können, in Panik auf das Meer zuzurennen. Das Lager jedoch war im Anschluss unnutzbar geworden und so wurde Karl Ludwig Spier mit anderen Gefangenen nach Gurs verlegt – dorthin also wo seine Frau kurz zuvor alles unternommen hatte um zu ihm zu gelangen. Wieder war nun die Familie getrennt, wieder reiste man ihm nach. Die Situation wurde zunehmend lebensbedrohlich und noch immer bestand keine Aussicht auf ein Visa in die USA oder ein anderes Land. Karl Ludwig wurde in unzählige andere Lager verlegt, darunter nach Meillon, stets begleitete ihn seine Familie. 1942 schließlich ein Hoffnungsschimmer: Karl Ludwig Spier kam frei und durfte sich mit behördlicher Genehmigung zusammen mit seiner Familie im Haus von Freunden in Cap-d’Ail an der Côte d’Azur niederlassen. Doch ein erneuter Fehler gab sie später wiederum der Verfolgung preis: Aus Pflichgefühl meldete Karl Ludwig Spier seine Familie wahrheitsgemäß als jüdisch an. Schon zuvor war die Familie immer niedergeschlagener geworden, das Geld reichte kaum noch um den Hunger zu stillen, die Angst ging um, sie könnten erneut getrennt werden. Als aus einem defekten Schornstein Kohlenmonoxid austrat, bedeutete das beinahe das Ende für die vierköpfige Familie.

Das Wissen um ihre jüdische Herkunft wurde den Spiers nun jedoch zum Verhängnis. Im August 1942 wagten die Eheleute noch einen Fluchtversuch, wurden jedoch am 16. des Monats verhaftet und nach Nizza in die Auverne-Kaserne verbracht. Ein kommunistischer Nachbar hatte Karl Ludwig noch davor gewarnt, an jenem Abend in der eigenen Wohnung zu schlafen und seine angeboten, doch dieser wollte nicht stören und lehnte ab. Karl Ludwig, der ohnehin herzkrank war, nahm in der Kaserne noch Tabletten um seinen Herzrhythmus zusätzlich zu erhöhen, weil er gehört hatte, dass die Kranken bessere Chancen hatten. Dies führte jedoch lediglich dazu, dass er auf die Krankenstation kam und von seiner Familie getrennt wurde. Auf Anraten eines freundlich gesinnten Polizisten trafen die Eheleute in Nizza die schwierige Entscheidung, sich von ihren Kindern zu trennen, da diese ohne sie bessere Chancen auf eine Rettung hatten. Am 31.08.1942 wurden Karl Ludwig und Hilde von Nizza ins Lager Drancy verlegt. Bereits am 02.09. wurde Karl Ludwig von dort nach Auschwitz deportiert. Hier arbeitete er in der Schuhherstellung, wurde dann jedoch verlegt. Am 01.02.1945, die Befreiung vor Augen, starb Karl Ludwig Spier auf einem Todesmarsch von Auschwitz nach Buchenwald in Blechhammer (Eibenstock). Seine Kinder überlebten den Krieg versteckt in einem italienischen Bergdorf.

 

Karl Ludwig Spier

 

How much pain some humans have to bear in their lives can be exemplarily seen in the biography of Karl Ludwig Spier. He was born on December 15th of 1900 as the son of Rudolf and Emma Spier (Wannfried) in Cologne. He was the grandson of Karoline Wannfried (Adler), which was born in Allersheim. Unfortunately little is known about his childhood and youth.

In 1921 he met his future wife Hilde Wolff. It was love at first sight when they first saw each other at a dancing class. But the possible future of the young couple was endangered by obstacles. Hilde came from a wealthy family and it was unthinkable for her father to let her be in a relationship with a man who was still studying. Even though Karl Ludwig and Hilde spent seven years in love with each other, her father remained hostile. At some point, Hilde was so desperate that she decided to take her life. Fortunately, she could be rescued shortly after she had slit her wrists. It was only at this point that her father gave up his resistance and allowed the marriage.

In order to offer a good life to his wife and their two children Marianne and Rolf, Karl Ludwig Spier accepted a position in Erfurt, where he had been offered to lead the shoefactory Lingel. To accompany him, Hilde gave up an important position at the newspaper „Kölner Zeitung“ and from then on focussed on her husband and the children. In Erfurt, Karl Ludwig worked hard, his children rarely spent time with him and Hilde had to care for the household all by herself. The family lived on one level of a big half-timbered house with a generous garden, crossed by a stream. They often spent time on their large terrace. Being not very religious, the high holidays often rather served them as opportunities to meet up with the family. They were closely befriended with three other jewish families in Erfurt. When the political situation in Germany became increasingly worse, all these families chose to emigrate, two of them to Great Britain and one to Palestine. But Hilde Spier had other plans. Since her brother lived in Belgium already, the Spiers decided to join him and emigrate to the neighboring country. A big mistake, as it turned out soon.

In November 19th 1935, they arrived in Belgium and brought their furniture with them. Karl Ludwig found work in Brussels as a consultant for matters of business and organization. The family was regularly visited by guests, probably other german refugees and Karl Ludwig started to obey jewish rituals out of defiance. In 1939 they moved to a house at the Chaussée de Waterloo. It was here that the whole family was almost killed when a gas oven exploded. But Belgium proved to be a bad choice. On May 10th of 1940 the Germans began to bomb Brussels. Panicly, Karl Ludwig and Hilde noticed that the electricity had failed and frantically searched for candles. The next morning, Hilde began to desperately talk to friends to find a solution. Later that day, her husband was arrested. By the Belgian police. As a German national, Karl Ludwig was treated as a subject, since Belgium was now officially in war with the country. In a postcard to his family shortly after, Karl Ludwig tried to sound calm, claiming he did not know what the Belgians intended to do with him but that they would probably deport him to France.

Indeed Karl Ludwig Spier arrived in the French camp of St. Cyprien, close to the Spanish border, the same month. With their last remaining belongings, Hilde and the children came to France as well but were interned in the camp of Gurs. Finally they managed to come to St. Cyprien as well. Every day, Hilde needed a permit to be allowed to talk with her husband and brother, who had also been deported to St. Cyprien, under the hot sun. Sometimes Karl Ludwig was allowed to spend the day with his family in the nearby village. On rare occasions he was even permitted to sleep in the small hut, in which Hilde and the children shared a bed, and get some rest outside of the camp which was surrounded by barbed wire and guarded by Senegalese soldiers. It was sheer luck that the family survived a flood, when they accidently tried to flee towards the sea in panic but were warned by locals. The camp however was no longer usable after the flood and so Karl Ludwig Spier and other prisoners were transferred to Gurs – the camp from which his wife had just managed to exit. Again the family was seperated, again Hilde and the children followed him. The situation became increasingly life-threatening and no visa for the United States or any other country was in sight. Karl Ludwig was repeatedly transferred to different camps, among them Meillon, and his family always followed. In 1942 a spark of hope emerged: Karl Ludwig was released and permiited to take residence with his family in a friend’s house in Cap-d’Ail on the Côte d’Azur. But at this point Karl Ludwig made another mistake that later led to the persecution of the family: Out of a sense of duty he truefully registered his family as Jewish. The mood became increasingly desperate, hunger and lack of money were egular issues and above all was the fear to get seperated again. When carbon monoxide leaked from a defective chimney, the family almost died.

But the knowledge about their Jewish descent was the Spier family’s undoing. In August of 1942 the married couple had tried to flee but on the 16th the family was arrested and imprisoned in the Auverne-barracks in Nizza. The day before a Communist neighbor had warned Karl Ludwig not to sleep in their house this night and had offered them to stay with him but Karl Ludwig did not want to disturb and declined. In Nizza the cardiac man took pills to further raise his heart rhythm because he had heard that the chances to be released were better for sick prisoners. But in reality he was only transferred to the hospital tract and seperated from his family. Following the advise of a friendly policeman, Hilde and Karl Ludwig sent their children away to stay with a relative in order for them to have better chances to be rescued. On August 31st of 1942 Hilde and Karl Ludwig were transferred to camp Drancy. On September 2nd Karl Ludwig was deported to Auschwitz. Here he worked in the shoemaker’s workshop before being relocated within the camp. On February 1st of 1942, when liberation was already in the air, Karl Ludwig Spier died on a death march from Auschwitz to Buchenwald in Blechhammer (Eibenstock). His children survived the war hidden in a village in the Italian mountains.

 

Quellen

 

Geni – Genealogische Datenbank.

Gemeindearchiv Giebelstadt Abt. Allersheim Karton 4 Akt 1.

Tarcali, Olga: Rückkehr nach Erfurt. Erinnerungen an eine zerstörte Jugend. Erfurt 2001.

Jüdisches Leben Erfurt: Orte und Biogramme. Online im Internet.

Hilde Spier in der deutschsprachigen Wikipedia.

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln: Die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus aus Köln. Details.

Hörstolpersteine: Dr. Hilde Spier und Carl Ludwig Spier, Erfurt.